Sonntag, 29. März 2015

[Rezension] Helen Fielding: "Bridget Jones - Schokolade zum Frühstück"

Titel: "Bridget Jones - Schokolade zum Frühstück"
Originaltitel: "Bridget Jones's Diary" (1996)
Autor: Helen Fielding
Verlag: Goldmann Verlag
Erscheinungsjahr: 1999
Format // Preis: Taschenbuch (9,99€) // Kindle-Edition (8,99€)
Seiten: 352




1. "Bridget Jones – Schokolade zum Frühstück" (1999)
2. "Bridget Jones – Am Rande des Wahnsinns" (2002)
3. "Bridget Jones – Verrückt nach ihm" (2014)




Willkommen im chaotischen und turbulenten Alltag von Bridget Jones, einer jungen Frau Mitte dreißig, die als Lektorin für einen Verlag arbeitet und die sich für das kommende Jahr gleich mehrere große Ziele gesetzt hat: Das Rauchen und das Trinken auf ein Minimum zu verringern, gegen ihre überflüssigen Pfunde anzukämpfen, mehr auf ihren Lebensstil zu achten und endlich die große Liebe zu finden. Denn, von all ihren kleinen Lastern angesehen, ist dieses ihr größtes Manko: Sie ist immer noch Single. So kommt es regelmäßig zu Krisensitzungen mit ihren besten Freundinnen Jude und Shazzer sowie ihrem schwulen Freund Tom, die ihr in allen schwierigen Lebenslagen stets mit Tipps zur Seite stehen und nicht müde werden, ihr zu versichern, dass die emanzipierte Frau von heute auf die ganzen „Flachwichser“ da draußen gut verzichten kann.
Doch auch Bridgets Eltern ist der lottrige und ziellose Alltag ihrer Tochter ein Dorn im Auge, der sich ihrer Meinung nach nur mit einem selbstbewussten, gut situierten (soll heißen: am besten im Geld schwimmenden) Mann wieder in Einklang bringen lässt. So muss Bridget zu Weihnachten erneut die Verkupplungsversuche ihrer Mutter über sich ergehen lassen, die sich dafür Mark Darcy ausgesucht hat - einen Staranwalt, jedoch grauenhaft gekleidet, der zudem an Bridget ebenso wenig interessiert zu sein scheint wie sie an ihm. Aber das macht nichts, schließlich gibt es da noch Daniel, ihren Chef im Verlag, der pünktlich zum neuen Jahr alle guten Vorsätze von Bridget über den Haufen wirft und sie dennoch Hoffnung schöpfen lässt, nicht (wie in ihren schlimmsten Vorstellungen) irgendwann allein zu sterben und als Leiche von ihrem Hund angeknabbert zu werden. Doch ist Daniel wirklich der perfekte Mann fürs Leben oder gehört auch er in die „Flachwichser“-Sparte?




Ich muss zugeben, dass ich am Anfang nicht sicher war, ob die Welt wirklich (noch) eine Rezension über das Tagebuch der Bridget Jones braucht. Denn mal ehrlich - Wer kennt sie nicht? Wenn man schon nicht das Buch gelesen hat, so hat man doch wenigstens die Filme mit Renée Zellweger gesehen, die sich sehr nah an den Romanvorlagen orientieren. Gibt es überhaupt noch Menschen wie mich, die den Roman auch fast zwanzig Jahre nach seinem Erscheinen immer noch nicht gelesen haben und das gerne nachholen würden?
Vermutlich schon, aber viele werden es nicht sein. Deswegen hoffe ich, mit dieser Rezension auch die Leute zu erreichen, die Bridget Jones - egal ob durch den Roman oder den Film - bereits kennen und die sich nun an ihre Zeit mit Bridget erinnert fühlen. Ob die Geschichte gut oder schlecht ist, sei dabei erstmal dahingestellt, fest steht nur, dass Bridget Eindruck hinterlassen hat. Nicht umsonst gilt die Verfilmung als der Frauenfilm schlechthin, um den man nur schwer herumkommt, wenn man dieses Genre mag.

Nun aber zu meiner Meinung, die ich mit einem Hinweis beginnen möchte: Wie bereits erwähnt, erschien der Roman im Jahre 1996 (auf englisch) und so sollte man ihn auch lesen. Man kann ihn nicht einfach mit der heutigen Zeit gleichsetzen. Das hört sich logisch an, aber mir selbst ist es stellenweise schwer gefallen, vor allem wenn es in den Diskussionen zwischen Bridget und ihren Freundinnen um die Männerwelt und die (ihrer Meinung nach noch nicht vollzogene) weibliche Emanzipation ging. Die heutigen Frauen sind in dieser Hinsicht viel erwachsener, reifer und vor allem mit einem weitaus differenzierteren Blick über den Tellerrand ausgestattet als die im Buch beschriebenen Charaktere. Im Jahr 1996 mögen die Überlegungen der Frauen noch zeitgemäß sein, doch zwischenzeitlich sind sie längst überholt.
Und genau deswegen ist Bridget Jones auch nicht das einfältige Schübchen, als das sie immer beschrieben wird. Sie ist ganz einfach eine typische Frau ihrer Zeit, die ihren Platz in der Gesellschaft noch nicht gefunden hat und durch ihre chaotische Art auch jemanden braucht, der ihr den Weg weist. Sie gehört zu jenen Singles, die sich immer wieder sagen, wie glücklich wie eigentlich mit ihrer Situation sind, um nicht in kompletter Verzweiflung und Selbstmitleid zu versinken. Und wie könnte sie auch anders sein mit einer Mutter, die jedes Körnchen Selbstvertrauen aus ihrer heraussaugt und ihr immer wieder zu Verstehen gibt, dass sie niemals glücklich werden wird, wenn sie ihr Leben nicht radikal umkrempelt? Innerlich zerrissen versucht Bridget einen Spagat zwischen dem, was ihr gefällt und womit sie sich wohlfühlt und ihrem von der Mutter entwickelten Wunschbild, um Ansehen zu gewinnen, hinreißende Dinnerpartys zu geben und gesellschaftlich aufzusteigen.
Ich konnte Bridgets Probleme und ihre Sorgen von Anfang an sehr gut nachvollziehen, auch wenn ich bei einigen ihrer Ziele und Schlussfolgerungen grinsen oder leicht genervt die Augen verdrehen musste. Dennoch ließen sich die einzelnen Kapitel, die jeweils einen Monat beschreiben, schnell durchlesen, weil der Schreibstil sehr flüssig und die Tagebucheinträge meistens knapp gehalten waren. Erst zum Schluss fügte die Autorin eine Prise Spannung hinzu, Bridgets Beiträge wurden länger und das Ende zunehmend absehbarer. Bis dahin flog ich als Leserin quasi von einem Kapitel zum nächsten und lernte die einzelnen Charaktere immer besser kennen. Die Geschichte verlief mal sprunghaft, mal plätscherte sie nur dahin, aber Helen Fielding versteht sich ausgezeichnet darauf, auch den ganz unspektakulären Alltag zu beschreiben, so dass ich dieses Buch ohne eine Leseflaute nach wenigen Tagen zu Ende gelesen hatte.
Mir persönlich hat der Ausgang der Geschichte allerdings nicht so gut gefallen, weil er für das bis dahin durchaus realistisch anmutende Tagebuch einfach viel zu abgehoben war. Er wirkte aufgesetzt und märchenhaft, was gar nicht zum bisherigen Verlauf der Handlung passte. Bis zu diesem Punkt konnte ich Bridgets Tagebucheinträge (die natürlich nicht objektiv waren) so annehmen, wie sie diese darstellte, doch zum Ende des Romans fiel es mir zusehends schwerer. Entweder hat Helen Fielding dieses Ende absichtlich so ausgearbeitet, als ob Bridget viele Details zu sehr beschönigt oder sie wollte krampfhaft ein passendes Ende unterbringen. Ich persönlich vermute letzteres.




Als ich mir dieses Buch geholt hatte, lag es gar nicht so lange auf meinem SUB, weil ich es unbedingt lesen wollte. Ich mag generell Romane, die aus der Ich-Perspektive oder in der Tagebuchform verfasst wurden, deswegen traf Bridget Jones genau meinen Geschmack. Da war es auch nicht schlimm, dass ich den Film schon kannte (zumindest auszugsweise; es ist Jahre her, seit ich den  Film zum letzten Mal gesehen habe), denn die ganzen witzigen Details aus Bridgets Leben sorgten für reichlich Abwechslung.
Ich habe schon geschrieben, dass ich Bridgets Verhalten gut nachvollziehen konnte; identifizieren konnte ich mich mit ihr jedoch nicht. Trotz der großen Lücke zwischen den Jahren 1996 und 2015, die ich mir immer wieder vor Augen führte, herrscht in Bridgets Leben nicht nur ein äußeres, sondern auch ein innerliches Chaos, das eher an einen pubertierenden Teenager als an eine gestandene Dreißigerin erinnert. Viele von Bridgets Charakterzügen sind liebevoll tollpatschig und deswegen auch liebenswert dargestellt, aber manche Dinge lassen mich verstehen, warum der richtige Mann noch auf sich warten lässt. Bridget dreht ihr Fähnchen immer nach dem Wind der anderen - seien es die Freundinnen, die uneinsichtige Mutter, die Ratschläge in der neuen Vogue-Ausgabe oder ihr Boss. Sie probiert sich an unterschiedlichen Diäten, versucht mit der Buddhismus-Philosophie ins Reine zu kommen, kann aber einfach nicht herausfinden, was ihr selbst wirklich gefällt. Sie ist ein Opfer der Konsum-Gesellschaft, die einem mit Tipps und Tricks zum inneren Gleichgewicht quasi überfluten, indem sie sich aus allen das Beste rausziehen und dieses dann in einem Artikel verpacken, der die unglücklichen Single-Frauen begeistern soll. So unterliegt Bridgets Leben einem ständigen Wandel, neue Diäten werden halbherzig begonnen und nach wenigen Tagen wieder abgeblasen, weil die neue Diät, die gerade alle ihre Freundinnen machen, doch mehr Erfolg verspricht. Und all das zieht sich auch durch ihr Tagebuch, bis sie sich mir als Charakter immer mehr entfremdete. Ich fühlte noch mit ihr, aber es fiel mir nicht leicht, weiterhin Verständnis für sie aufzubringen, weil sie alles mit großem Enthusiasmus beginnt, aber es nicht auf die Reihe bekommt, auch nur eine Sache mal anständig zu beenden. Ihr jugendhaftes Leben stellt eine Suche voller Anfänge dar, die in regelmäßigen Abständen wieder abgebrochen werden. Für die heutige Zeit scheint mir ein solcher Lebensstil nicht mehr authentisch, doch ich glaube, dass es damals viele unglückliche Singles wie Bridget gab, die sich mit dieser übertriebenen Darstellung ein wenig identifizieren konnten.




Zusammenfassend kann ich sagen, dass ich die Grundidee dieser Geschichte nicht schlecht fand und den Roman innerhalb weniger Tage verschlungen habe. Ich hatte keine hohen Erwartungen und wusste auch, dass mir keine tiefgründigen Erkenntnisse der Protagonistin bevorstanden, da dieser Roman für mich in die Kategorie der lockeren, seichten Unterhaltung fällt. Allerdings erhoffte ich mir eine gewisse Entwicklung in Bridgets Leben, die deutlich macht, dass sie aus ihren Fehlern gelernt hatte und allmählich auch sich selbst akzeptieren konnte. Dieser innere Fortschritt blieb jedoch leider aus, denn Bridgets Leben blieb mir bis zum (sehr aufgesetzten) Ende ein Rätsel.
Möglicherweise findet dieser Wandel erst im zweiten oder dritten Band statt, aber das werde ich wahrscheinlich nicht herausfinden. So sehr mir Bridgets Tollpatschigkeit auch gefiel, der Roman selbst konnte mich letztlich nicht überzeugen, die Serie fortzusetzen.
Ich gebe dem Tagebuch der Bridget Jones deswegen drei von fünf Sternen.

★ ★ ★ ☆ ☆





Dienstag, 24. März 2015

[Neuzugänge] März

Hallo liebe Leseratten,

mit einiger Verspätung zeige ich euch heute meine Neuzugänge im Monat März.
Meine Ausbeute an gedruckten Büchern hält sich diesmal in Grenzen, aber dafür habe ich meinen Bestand um ein wunderbares Hörbuch sowie einige aktuelle Bestseller erweitert, die erst seit kurzem auf meiner Wunschliste stehen.

Ich wünsche euch viel Spaß beim Stöbern! :D




Übersicht meiner Neuzugänge:


Agatha Christie: "Dix Petits Nègres" (deutscher Titel: "Und dann gab's keines mehr")
Christopher Paolini: "Eragon" 
Anthony Horowitz: "Das Geheimnis des weißen Bandes: Ein Sherlock-Holmes-Roman"
Cornelia Funke: "Reckless: Steinernes Fleisch"
Rainbow Rowell: "Eleanor und Park" 
Mechthild Gläser: "Die Buchspringer"
Liz Coley: "Scherbenmädchen" 





Diesen Krimi-Klassiker von Agatha Christie habe ich vor kurzem in meiner Lieblings-Buchhandlung entdeckt und musste ihn einfach haben. Zwar habe ich die Geschichte schon vor einiger Zeit auf Deutsch gelesen, aber weil sie mir so gut in Erinnerung geblieben ist, hatte ich einfach Lust darauf, sie diesmal auf französisch zu lesen. Mein sechsmonatiger Auslandsaufenthalt in Frankreich ist schließlich bald vorbei, also werde ich die verbleibende Zeit noch ein bisschen nutzen.




Endlich, endlich kann ich die Geschichte von Eragon kennen lernen! Obwohl die Geschichte längst ein internationaler Bestseller ist, habe ich die Blütezeit dieser Serie irgendwie verpasst. Das möchte ich nun nachholen und habe mir den ersten Teil als Hörbuch geholt, um mir damit meine lange Rückfahrt nach Deutschland zu verkürzen. 1200 Minuten dieser sagenhaften Fantasiegeschichte warten nun auf mich :D




Mit diesem Roman habe ich schon vor einer Weile geliebäugelt, ihn dann aber aus den Augen verloren - bis ich ihn vor kurzem auf dem Blog der lieben Sarah wiederentdeckte. Also beschloss ich, ihrem Beispiel zu folgen und mir das Buch ebenfalls zu holen ;-)




Ich habe bisher (zu meiner Schande) noch kein einziges Buch von Cornelia Funke gelesen, obwohl sie eigentlich genau die Sorte Bücher schreibt, die mich interessieren könnte. Deswegen stöberte ich mich ein bisschen durch ihre Geschichten und hatte letztlich die Wahl zwischen der "Tintenherz"- und der "Reckless"-Reihe. Die Wahl fiel auf "Reckless", "Tintenherz" folgt vermutlich später.




Nun kommen wir zu aktuellen Bestsellern ... Auf dieses Buch bin ich in letzter Zeit immer wieder gestoßen, viele Leute auf Instagram und auch einige Blogger schwärmten von diesem Liebesroman und die Leseprobe, die ich mir daraufhin bestellt hatte, gefiel mir eigentlich ganz gut. Also habe ich beschlossen, diesem Buch eine Chance zu geben (ich bin immer ein bisschen skeptisch bei Neuerscheinungen, die sofort von allen Leuten dermaßen angepriesen werden) und fügte "Eleanor & Park" meinem virtuellem Bücherregal hinzu.




"Die Buchspringer" habe ich beim Stöbern auf Amazon entdeckt und die Geschichte hat mir auf Anhieb gut gefallen (ich mag ja generell Bücher über Bücher). Auch von der Autorin selbst habe ich schon viel Positives gehört, also wird dieser Roman nun mein Erstlingswerk von Mechthild Gläser.




Und schließlich, last but not least, ist da noch das Buch "Scherbenmädchen", das ich auf dem Blog von Lena entdeckt habe, die es bereits gelesen und rezensiert hatte. Ihre Rezension war kurz, aber relativ aussagekräftig: "Lest dieses Buch!" So einer Aufforderung komme ich gerne nach, deshalb macht dieser Roman meine Liste der Neuzugänge komplett.




Montag, 16. März 2015

[Rezension] Max Frisch: "Stiller"

Titel: "Stiller"
Autor: Max Frisch
Verlag: Suhrkamp Taschenbuch Verlag
Erscheinungsjahr: 1954
Format // Preis: Gebundene Ausgabe (24,90€) // Taschenbuch (10,00€) // Kindle-Version (9,99€)
Seiten: 448




Mr. White, ein amerikanischer Staatsbürger, wird bei seiner Einreise in die Schweiz von der Grenzpolizei aufgehalten, weil er mit dem verschwundenen Bildhauer Anatol Ludwig Stiller identisch ist. Die Polizei scheint taub für seinen Protest zu sein und bringt ihn in ein Schweizer Gefängnis, um den ungewöhnlichen Fall aufzuklären. Dort wehrt sich White in seinen Aufzeichnungen vehement gegen die ihm vorgeworfene Anklage, eine andere Person zu sein und beteuert immer wieder: „Ich bin nicht Stiller!“
Als jedoch der Bruder, die früheren Freunde und die Ehefrau des verschollenen Bildhauers benachrichtigt werden und ihn zweifellos als Stiller identifizieren, zieht sich die Schlinge immer enger um ihn. Er flüchtet sich in Erzählungen aus seiner Vergangenheit, die ein anderes Leben zeichnen als jenes, das Stiller früher geführt hatte und kämpft darum, selbst zu entscheiden, welche Person er tatsächlich sein möchte.




Ich bin nicht Stiller! - Tag für Tag, seit meiner Einlieferung in dieses Gefängnis, das noch zu beschreiben sein wird, sage ich es, schwöre ich es und fordere Whiskey, ansonst ich jede weitere Aussage verweigere.




Ich rezensiere gerne Bücher. Ich schreibe diesen Blog, weil es mir Spaß macht, mich eingehender mit meinen gelesenen Büchern zu beschäftigen. Deswegen ist es nicht nur für euch als Leser, sondern auch für mich als Verfasserin eine Art der Unterhaltung. Ich denke über das Gelesene nach und versuche, es für meine Strukturierung nach Inhalt, Meinung, Fazit, usw. zusammenzufassen um anderen auf diese Weise ein Buch anschaulich zu präsentieren.
Und nun sitze ich vor meinem Laptop, mit dem Ziel, eine ebenso praktische Rezension über den Roman „Stiller“ zu schreiben und bin kurz vorm Verzweifeln. Denn dieses Buch weigert sich einfach genauso vehement wie Mr. White, sich von mir beurteilen zu lassen.

Eines weiß ich auf jeden Fall: „Stiller“ ist eines der ungewöhnlichsten Bücher, das ich seit langem gelesen habe. Während des Lesens war ich begeistert, genervt, gelangweilt, gefesselt, müde und fasziniert. Ich habe mit White gelitten, war über die Engstirnigkeit der Schweizer Polizei entrüstet, habe seine Kurzgeschichten verschlungen oder mit quälender Neugier auf die eigentliche Geschichte schnell hinter mich gebracht und schließlich an allem gezweifelt - nicht zuletzt an der Frage: Hat mir dieses Buch gefallen?

Doch nach alledem, was ich mit Stiller durchgemacht habe, kann ich nun sagen: Ja, und zwar sehr. Es ist schon nicht leicht, ein Buch zu finden, das mich von der ersten bis zur letzten Seite begeistern kann. Doch noch nie habe ich ein Buch gefunden, dass mich daneben auch so viele andere Gefühle erleben ließ. Und das nicht, weil der Autor es nicht geschafft hatte, eine Spannung aufzubauen, sondern weil er die ganze Zeit mit den Erwartungen des Lesers spielt. Am Anfang war ich wirklich geneigt zu glauben, dass der arme Mr. White einfach das Opfer der skrupellosen Schweizer Polizei geworden ist. Ich war sogar so naiv, seine abenteuerlichen Geschichten zu schlucken. Aber Mr. White heißt nicht ohne Grund Mr. Weiß - die Farbe, mit der sich alles machen lässt. Sie nimmt jede noch so absurde Geschichte auf und ermöglicht eine Abgrenzung von dem, was man eigentlich ist. Anatol „Stiller“ konnte das nicht - er wurde zu dem gemacht, wofür ihn die Gesellschaft hielt und blieb nicht einfach nur still, sondern wurde immer „stiller“ - bis er schließlich gänzlich schwieg und verschwand.

Und trotz alledem sympathisierte ich eine ganze Weile mit ihm. Dies hängt vermutlich damit zusammen, dass ein Großteil der Geschichte aus seiner Sicht wiedergegeben wird, nämlich mit „Stillers Aufzeichnungen im Gefängnis“, bestehend aus mehreren Heften, die ihm sein Verteidiger mitgebracht hat. Man erfährt die Hintergründe seiner Verhaftung, hört seinen fortlaufenden Protest, nicht Stiller zu sein und liest daneben auch sehr skurrile Geschichten (Mein Liebling war jene Geschichte über Rip van Winkle, dessen Leben sich nach einem seltsamen Ereignis dramatisch änderte). Diese Geschichten sind Stillers Flucht vor der Realität, die er aus einer ihm fremden Perspektive zu beschreiben versucht.
Richtig interessant wurde es vor allem jedoch im zweiten Teil, in dem Stillers Staatsanwalt und Freund zu Wort kommt, der die Erzählung aus seiner Sicht fortsetzt und plötzlich ist der entfremdete Stiller wieder ganz nah und ich fühlte wieder mit ihm. 
Ähnlich wechselhaft verhielt es sich bei mir mit Stillers Frau Julika - selten habe ich eine Figur aus einem Buch erst so bedauert und dann so abgrundtief gehasst, dass ich beim Lesen ihrer Aussagen gedanklich oft aufstöhnen musste, weil mir die Gute zu dermaßen auf den Wecker ging. Ich war einfach nicht in der Lage, ihr ihre Fehler (falls sie überhaupt welche hatte) ebenso großzügig zu verzeihen wie Stillers Flucht und seine haltlosen Proteste. Sie blieb mir bis zum Schluss ein Rätsel.




Der Roman "Stiller" ist nicht nur ungewöhnlich, sondern auch reich an bemerkenswerten Erkenntnissen, die das eigene Selbstbild während des Lesens ziemlich ins Wanken bringen können. Diese werden von Stiller gezielt eingesetzt, um seine Entscheidungen zu rechtfertigen und um zu erklären, warum er sich weigert, ein Leben anzunehmen, das er nicht (mehr) führen möchte:

"es hängt alles davon ab, was wir unter Leben verstehen! Ein wirkliches Leben, ein Leben, das sich in etwas Lebendigem ablagert, nicht bloß in einem vergilbten Album, weiß Gott, es braucht nicht großartig zu sein, [...] Daß ein Leben ein wirkliches Leben gewesen ist, es ist schwer zu sagen, worauf es ankommt. Ich nenne es Wirklichkeit, doch was heißt das! Sie können auch sagen: daß einer mit sich selbst identisch wird. Andernfalls ist er nie gewesen!" (Seite 65f.)

Solche Sätze machen ein Buch, egal wie sperrig es auch sein mag, für mich lesenswert und "Stiller" war voll davon. Egal wie genervt ich von dem Verlauf der Handlung war, irgendwann habe ich mich darauf eingelassen und ließ mich von Stillers innerer Auseinandersetzung mit dem Ich und dem Nicht-Ich mitreißen.




Ich weiß, dass "Stiller" kein einfacher Roman ist und ich bin mir sicher, dass kaum jemand von euch nach dieser Rezension sofort in die nächste Buchhandlung rennen wird, um dieses Buch zu kaufen. Es ist einfach nicht dafür geschaffen, um ein klassisches "Lieblingsbuch" zu werden. Man kann die Geschichte lieben oder sie langweilig finden (das sind meine beiden Gegensätze beim Lesen eines Buches); Grauzonen gibt es nicht. Aber ich glaube, "Stiller" ist ein weit unterschätzter Roman. Jeder, der nicht bereit ist, sich auf die Geschichte einzulassen, wird das Buch vermutlich nach spätestens zwanzig Seiten genervt auf den Stapel jener Bücher legen, die man irgendwann mal lesen könnte, nur eben nicht jetzt. Man kann sich nicht einfach hinsetzen und berieseln lassen. So funktioniert das Lesen dieses Buches nicht. Es ist ein Experiment, bei manchen klappt es, bei manchen nicht.

Meiner Meinung nach gibt es kein Bewertungsraster, das diesem Roman gerecht werden würde. Es müssten vermutlich viele Sterne sein, alle unterschiedlich groß, die abwechselnd funkeln und verblassen. Denn genau so liest sich das Buch - ein ständiges Auf und Ab, aber kein ganzheitliches Fazit.
Ich kann nur sagen: Ich bin froh, das Buch gelesen und Stiller wirklich kennen gelernt zu haben.






Samstag, 7. März 2015

[Rezension] Alan Bradley: „Flavia de Luce 3: Halunken, Tod und Teufel“

Deutscher Titel: "Flavia de Luce 3: Halunken, Tod und Teufel"
Originaltitel: "A Red Herring Without Mustard: A Flavia de Luce Novel"
Autor: Alan Bradley
Verlag: Blanvalet Taschenbuch Verlag (Taschenbuch) // Penhaligon Verlag (Kindle-Edition)
Erscheinungsjahr: 2011
Format // Preis: 8,99€ (Taschenbuch) // 5,99€ (Kindle-Edition)
Seiten: 368




Ein neuer Fall für Flavia de Luce, Englands bekannteste kleine Detektivin!
Dabei beginnt alles ganz harmlos, mit einem unbeschwerten Nachmittag auf dem Jahrmarkt von Bishop’s Lacey, auf dem sich Flavia von der Wahrsagerin Fenella die Zukunft voraussagen lassen will - bis sie versehentlich deren Zelt in Brand setzt! Als Wiedergutmachung bietet sie der älteren Frau an, die Nacht auf den Ländereien von Buckshaw zu verbringen, wo Flavias Familie schon seit vielen Generationen lebt.
Doch dann fällt Fenella einem schrecklichen Attentat zum Opfer und Flavia setzt alles daran, diesen Fall aufzuklären und den Täter zu zu entlarven. Unterstützung erhält sie dabei von ihrer treuen Freundin Gladys, dem Fahrrad ihrer Mutter und ihrem ganz besonderem Spezialgebiet: Der Chemie.




„Du machst mir Angst“, murmelte die Wahrsagerin. „Meine Kristallkugel war noch nie so dunkel.“





Flavia de Luce hat sich schon mit ihrem ersten Fall „Mord im Gurkenbeet“ einen festen Stammplatz in meinem Regal erobert - und in meinem Herzen. Selten traf ich eine so gerissene, neugierige, mit reichlich schwarzen Humor gesegnete, aber gleichzeitig so liebenswerte Protagonistin wie dieses neunmalkluge Mädchen, die mit Begeisterung hochgiftige Substanzen in ihrem Chemielabor zusammenstellt - einfach nur, um sich an den chemischen Reaktionen zu erfreuen und sich die Auswirkungen ihrer Gifte an ihren bevorzugten Lieblingsopfern vorzustellen, nämlich ihren beiden älteren Schwestern, Ophelia und Daphne.

Nichtsdestotrotz ist Flavia aber auch ein elfjähriges Mädchen, das aus sehr ritterlichen Motiven handelt. Sie hilft Fenella und macht sich erst danach Gedanken darüber, wie ihr verschrobener Vater darauf reagieren könnte, dass eine Zigeunerin samt Kutsche und verfressenem Pferd auf seinem Grundstück kampiert. Sie triezt ihre Schwestern auf eine kindliche, fast schon naive Weise und muss dafür teilweise üble Angriffe über sich ergehen lassen. Ihrem Vater sieht sie es nach, dass er sich in erster Linie auf seine Briefmarken konzentriert und die meiste Zeit in einer Art Vakuum lebt, wo nur Fehlprägungen und seltene Ausgaben existieren. Und Dogger, der auf Buckshaw sozusagen als „Mädchen für alles“ fungiert, zählt zu Flavias engsten Vertrauen, obwohl er seit dem Krieg in seiner eigenen Welt lebt. Es ist fast rührend, wie behutsam Flavia seine seltsamen Marotten beschreibt, anstatt ihm einfach einen Dachschaden zu unterstellen.

Nachdem ich schon in den ersten beiden Bänden Flavia unglaublich gern begleitet habe und bei der Auflösung des Mordfalls mitgeraten und mitgefiebert hatte, war ich überrascht, dass in diesem Band zum ersten Mal auch Flavias Familie ein bisschen mehr in den Mittelpunkt gerückt wurde. Zwar lassen sich alle Teile von Flavia de Luce auch unabhängig voneinander lesen, da sie nicht aufeinander aufbauen, sondern meistens nur am Rande erwähnt wird, dass Flavia schon einmal eine Leiche entdeckt hat usw. Doch in diesem Fall hatte ich das erste Mal das Gefühl, Flavia nicht nur als unglaublich begabte, zukünftige Chemikerin (oder Gitmörderin, mal schauen ^^) kennen zu lernen, sondern auch als ein elfjähriges Mädchen, das um ihre Mutter trauert, obwohl sie keine Erinnerung an sie hat und trotz ihrer fröhlichen Art manchmal sehr einsam ist. Dass sie ihr Fahrrad Gladys zu ihren besten Freunden zählt und sie ein wenig der Zeit hinterher trauert, als sie sich mit ihren bösartigen Schwestern noch besser verstand, lässt sie weniger abgehoben wirken als in den ersten beiden Bänden und verschafften ihr bei mir einige zusätzliche Sympathiepunkte.

Vielleicht ist das einer der Gründe, warum sich der eigentliche Gegenstand der Flavia-de-Luce-Reihe (nämlich ein Mord) in dieser Geschichte  meiner Meinung nach nicht richtig entfalten konnte. Zwar war der Plot unglaublich spannend angelegt, es wurden nach und nach immer dunklere Mordmotive von Flavia enthüllt, dann kam es zu einer finalen Konfrontation, doch die Aufklärung selbst fiel überraschend nüchtern aus. Zugegeben, ich hatte keinen nervenaufreibenden Endkampf zwischen einer Elfjährigen und einem unbekannten, gefährlichen Mörder erwartet, aber ich weiß einfach, dass Flavia eigentlich mehr zu bieten hat. Die Auflösung ihres zweiten Falls war eine Glanzleistung allererster Güte und ich bewunderte Flavia für eine Auffassungsgabe und ein Geschick im undurchsichtigen Kombinieren der Möglichkeiten, die ihresgleichen suchen. Doch dieser neue Fall forderte keine Höchstleistungen von ihr. Das ist zwar auch nett, da man als Leser besser mitraten konnte, doch am Ende fehlte dadurch etwas. Der ganze Roman war spannend und fesselnd, aber das Ende fiel demgegenüber sehr einfach und unspektakulär aus. Oder, anders formuliert: Sherlock hatte auch seine Gründe, warum er nicht jeden Fall angenommen hat, sondern nur die richtig kniffligen Brocken. Und so etwas hatte ich eigentlich auch von Flavia erwartet.




Der dritte Band der Serie heißt: „Flavia de Luce 3: Halunken, Tod und Teufel“. Der englische Originaltitel lautet: „A Red Herring Without Mustard: A Flavia de Luce Novel“. Ich schaue mir beide Titel an, schüttle den Kopf und frage mich: „Jetzt mal ganz ehrlich: WARUM???
Ich habe es schon bei den ersten beiden Bänden nicht richtig verstanden, warum die Originaltitel anscheinend zu schwierig zu übersetzen waren und dass sich irgendjemand kurzerhand wohl dachte: „Ach komm, wir nehmen einfach irgendeinen Titel, der irgendwie etwas mit Mord zu tun hat. Oder halt, wir nehmen drei Titel und machen eine Aufzählung draus.“
Und schwups, wurde aus dem wunderbar passendem Originaltitel (der zudem auch genau den typischen schwarzen Humor der Serie erfasst hat), der unglaublich sperrige und widersinnige Titel: „Halunken, Tod und Teufel“. Keiner dieser drei Berufsbilder hat auch nur im Entferntesten etwas mit der Geschichte zu tun, gar nichts! Und ich musste jedes Mal, wenn ich den Titel hier veröffentlichen wollte, nachschauen, wie er denn eigentlich lautet. Wie schon auch bei dem ersten und zweiten Band. Flavia selbst würde vermutlich sagen: „Für solche Leute hab ich Stehplätze in der Hölle reservieren lassen“, aber mir genügt es schon, wenn der Titel wenigstens ein bisschen zur Geschichte passen würde. Es muss ja keine Eins-zu-Eins-Übersetzung sein.

Nun komme ich aber zu meinen angenehmen Erlebnissen mit Flavias neuen Fall, denn auch wenn mich das Ende nicht ganz überzeugen konnte, war die Geschichte dennoch gespickt mit großartigen Details und Hintergrundinformationen, die faszinierend und lustig zugleich waren. Noch einmal der Tipp, den ich schon in meine Rezension des ersten und zweiten Bandes angeführt habe: Es lohnt sich wirklich, einige Sachen auch mal nachzuschlagen. Man erfährt so sehr viele skurrile Details, die der Autor mit viel Fingerspitzengefühl in die Handlung mit eingeflochten hat. Woher sonst hätte ich erfahren, dass das noble Wort „Boudoir“ das elegante Zimmer einer Dame bezeichnet oder dass Flavia zu meiner großen Freude einen der beliebtesten Kinderverse aus Mutter Gans zitiert hat, auf den ich schon in meinem Nachforschungen beim Lesen des zweiten Bandes gestoßen bin (in meiner Rezension findet ihr den vollständigen Vers), Flavias abgewandelte Version lautet:

Als der Förster in den Wald ging,
kamen ihm sieben alte Weiblein entgegen,
von denen jedes sieben Käfige mit sieben Finken drin trug.
Jeder Fink hatte sieben Junge.
Wie viele alte Weiblein, Käfige, Finken und Finkenjunge gingen in den Wald?

Und, ein weiteres Highlight, auf das ich während des Lesens gestoßen bin und das ich euch ebenfalls nicht vorenthalten will: Bei einem ihrer literarischen Zusammenkünfte (also den Leseabenden auf Buckshaw) erfährt Flavia von ihre Schwester Daffy, die vermutlich mit einem Buch in der Hand zur Welt gekommen ist, dass ein gewisser Dr. Samuel Johnson allen weiblichen Wesen strengstens davon abrät, einen Pinsel in die Hand zu nehmen und Portraits zu malen, da ihnen dazu einfach die Fingerfertigkeit fehle. Flavia merkt daraufhin an, dass vermutlich niemand gern den werten Verfasser selbst gezeichnet hätte, da er aussehen würde wie ein Kröte. Neugierig geworden, suchte ich nach dem betreffenden Herrn im Internet und siehe da:


Dr. Johnson hat sich inzwischen zu einem überall auf der Welt bekannten Internet-Meme gemausert. Ob der Autor das damals (2010/2011) schon gewusst hat? ;-)




Generell verdient Flavia eigentlich schon für ihre einzigartige, liebenswerte und manchmal auch etwas skurille Art die vollen fünf Sterne. Doch ich bewerte diesen Roman nicht in Vergleich mit anderen Roman, sondern nur mit den ersten beiden Bänden, die ich bereits gelesen habe und muss deswegen zugeben: So spannend die Geschichte auch war, das Ende kam leider zu kurz. Auch die Familiengeschichte, die der Autor dieses Mal stärker aufgegriffen hatte, blieb zum Ende zu unausgereift und vermittelte nur einen groben Abriss, der noch viele Fragen offen ließ. Aber wer weiß? Vielleicht beginnt mit diesem Teil nun doch ein dickerer roter Faden, der sich stärker durch die Geschichte zieht und der den Mord als Hauptbesetzung ablöst. Vielleicht erfahren wir in Zukunft mehr von Flavias Leben auf Buckshaw, ihrer Vergangenheit, dem mysteriösen Tod ihrer Mutter und mehr von Flavias verschlossenen Vater. Mir würde das gefallen. Deswegen bin ich schon sehr gespannt auf den vierten Teil und hoffe, dass die Serie noch laaaange nicht zu Ende ist ^^
Ich gebe dem dritten Teil aus Flavias verwunschener Welt vier von fünf Sternen.

★ ★ ★  ☆