Freitag, 30. Januar 2015

[Rezension] Sebastian Fitzek: "Passagier 23"

Titel: "Passagier 23"
Autor: Sebastian Fitzek
Verlag: Droemer HC
Erscheinungsjahr: 2014
Preis: 19,99€ (gebundene Ausgabe)
Seiten: 432

Inhalt:

Früher war Martin Schwartz ein erfahrener Polzeipsychologe, der die Beamten in Berlin bei besonders schwierigen Fällen mit seinen fundierten Diagnosen unterstützte. Seit er jedoch vor fünf Jahren seine Frau und seinen Sohn verloren hat, die während eines Urlaubs auf dem luxuriösen Kreuzfahrtschiff „Sultan of the Seas“ unter mysteriösen Umständen in den eisigen Atlantik stürzten, ist Martin nur noch ein Schatten seiner selbst. Den Schmerz über den für ihn unbegreiflichen und tragischen Verlust betäubt er nun mit Himmelfahrtskommandos als verdeckter Ermittler und dem Schwur, niemals wieder einen Fuß auf ein Kreuzfahrtschiff zu setzen.
Doch dann macht ihm eine seltsame ältere Dame einen Strich durch die Rechnung: Gerlinde Dobkowitz, Dauerschiffsreisende auf ebenjenem Sultan und selbsternannte Thriller-Autorin kontaktiert Martin, um ihn darüber zu informieren, dass sie Hinweise gefunden hätte, was damals wirklich mit seiner Familie geschehen ist. So sei vor einiger Zeit ein verschwunden geglaubtes Mädchen an Bord der Sultan wieder aufgetaucht - mit dem Teddy von Martins Sohns im Arm.



Der erste Satz:
Menschliches Blut:
  • 44 Prozent Hämatokrit.
  • 55 Prozent Plasma.
  • Und eine hundertprozentige Sauerei, wenn es aus einer punktierten Ader unkontrolliert durch den Raum spritzt.


Meine Meinung:

Wie ich zu diesem Buch kam, ist relativ schnell erzählt: Ich hatte wenige Tage zuvor meinen allerersten Fitzek-Roman „Der Nachtwandler“ beendet (Die Rezension dazu findet ihr hier) und war mehr oder weniger hingerissen von  der ungewöhnlichen Geschichte des armen Leons und fasziniert von den interessanten Gruselmomenten, die mir dieses Buch beschert hatte. Deswegen musste ganz schnell neue Lektüre von Fitzek her und meine Wahl fiel auf den etwas üppiger ausfallenden „Passagier 23“. That's it.
Doch gerade weil mir „Der Nachtwandler“ so gut gefallen hatte, war ich gegenüber diesem neuen Roman etwas skeptisch und befürchtete, von zu hohen Erwartungen verblendet zu werden. Aber dazu sollte es nicht kommen: Sämtliche Zweifel verflüchtigten sich schon nach wenigen Kapiteln in dünne Nebelschwaden, wurden nach der Hälfte des Buches immer blasser und waren zum Ende hin wie weggeblasen. 
Was war geschehen?
Zunächst einmal zieht einen die Handlung komplett in ihren Bann, vor allem, wenn man als Leser schonmal ein generelles Interesse für Schiffe und Kreuzfahrten mitbringt. Und keine Sorge, liebe Landratten: Fitzek legt den Fokus weniger auf eine Beschreibung der täglichen Fünf-Gänge-Menüs, Pool-Landschaften und Wellness-Oasen solcher Luxusschiffe, sondern beschreibt dafür umso ausführlicher, was sich hinter den Augen der Unkundigen eigentlich abspielt. Man merkt also, dass der Autor für seine Recherche mehr getan hat als sich nur die Informationsbrochüren für Kreuzfahrten durchzulesen. Einige der Aussagen basieren zudem auf wahren Ereignissen oder beschreiben die Funktionsweise der so genannte „schwimmenden Kleinstädte“ so genau, dass ich die einzelnen Decks teilweise bildlich vor Augen hatte. Manche Kapitel enthalten außerdem Informationen über Bordzeit, Geschwindigkeit und den momentanen Seegang und verstärken somit diesen Eindruck noch.
Und dann ist da Martin Schwartz, ein ungewöhnlicher Charakter, der sich nach Gerlindes Anruf nun doch an Bord der Sultan begeben hat und den der Leser bis zum Schluss nicht so richtig zu durchschauen vermag. Er erweckt den Eindruck eines typischen New-Yorker Polizisten, dem das Leben einige Male den Stinkefinger gezeigt hat, ist in seiner Art aber weniger rau, sondern eher genervt-sarkastisch, bleibt aber trotz alledem meistens freundlich.
Die aber wohl schillerndste Persönlichkeit in diesem Roman ist jedoch ohne Zweifel die krasse Oma Gerlinde. Was habe ich bei den Aussagen dieser schrulligen Möchtegerndetektivin Tränen gelacht! Am Anfang dachte ich noch, sie entspricht ganz der typischen reichen Witwe, die sich ihre Freizeit auf dem Kahn (im wörtlichen Sinne) totschlagen will, aber weit gefehlt - Gerlindes verrückte Ideen über verschwundene und wiederaufgetauchte Passagiere scheinen sich immerhin zu bewahrheiten, als ein verschwunden geglaubtes Mädchen wie aus dem Nichts an Bord der Sultan wieder auftaucht. Genau der richtige Stoff für ihren Thrillerroman (mit autobiografischen Elementen), von dem ich euch eine kurze Leseprobe nicht vorenthalten möchte (kein Spoiler):
„Gerlinde war wie immer erstaunt ob der Größe seines edlen Gemächts, das sich vor ihr reckte, doch jetzt war nicht die Zeit, um sich den Wonnen hinzugeben, die sein edles Zepter verhieß. Nicht, bevor sie nicht wusste, ob der Mann, der ihr die wundervollsten Orgasmen ihres dreiundsiebzigjährigen Lebens schenkte …“
Kurzum: Mit der lieben Gerlinde hat sich Fitzek meiner Meinung nach selbst übertroffen. Genau so eine Figur vermisse ich in vielen Romanen und freue mich umso mehr, wenn sie nicht nur einmal, sondern auch häufiger zu Wort kommt.
Wo wir übrigens gerade bei Klischees sind ... - am Anfang dachte ich noch, dass Fitzek sich aus der Kiste aller verfügbaren Möglichkeiten recht großzügig bedient hat: Der Kapitän ist natürlich arrogant, die gruftige Schülerin natürlich selbstmordgefährdet, das ausländische Zimmermädchen drückt sich gemäß den Standardsätzen à la „Ich nix verstehen“ aus, usw. Doch entgegen meiner Erwartungen machen die einzelnen Charaktere während der Geschichte eine interessante Entwicklung durch und spielen letztlich genau mit jenen Klischees, die ihnen eigentlich auf den ersten Blick geradezu auf der Stirn geschrieben stehen. Ich erlebte eine Überraschung nach der nächsten und genau dadurch kam die Handlung immer mehr in Schwung.
Denn anders als erwartet, präsentiert Fitzek die Auflösung der offenen Fragen allerdings nicht als ganzheitliches Menü, sondern immerzu häppchenweise. Martin Schwartz erweist sich als gerissener und sehr gut kombinierender Ermittler, der durch seine unverwechselbare Art alle Unklarheiten allmählich aufdeckt, so dass ich als Leser auch immer mitraten konnte.
Dennoch erfuhr ich am Ende nicht nur, was es mit dem schweigsamen, wiederaufgetauchten Mädchen auf sich hat, sondern noch viel mehr. Kaum dachte ich mir nach einer Auflösung: „Okay, aber was ist denn mit …?“ wurde prompt auch diese Frage beantwortet, entweder in den folgenden Kapiteln oder noch viiiiel später (wo genau, müsst ihr schon selbst herausfinden, aber ihr werdet überrascht sein ^^).



Trivia:

Wie auch schon in meinem letzten Roman von Fitzek war ich auch dieses Mal sehr begeistert von seinem Nachwort am Ende der Geschichte. Selbstverständlich muss er sich dafür aller möglichen Schiffs-Metaphern bedienen, die unsere Kultur so hergibt und kommentiert dieses Vorgehen mit einem ironischen Zwinkern, das auch dieses Mal kein bisschen arrogant rüberkommt, sondern einfach nur ehrlich ist.
Des Weiteren konnte er mir mit diesem Roman beweisen, dass er nicht nur im Nachwort die richtigen Worte findet. Und wie sollte ich mir auch das Grinsen verkneifen, wenn die Blase einer Person "so voll wie die U-Bahn nach einem Hertha-Spiel" ist oder wenn jemand nach einer halben Stunde Mittagsschlaf Mundgully hat "wie ein albanisches Klärwerk"? Das passt einfach zu gut.
Und: Ich habe in diesem Nachwort erfahren, dass Fitzek vom Sternzeichen auch eine eher wasserscheue Waage ist wie ich, die das Wasser lieber anschaut, als sich stundenlang darin zu vergnügen. Danke für diese treffende Beschreibung, das spricht mir aus der Seele! :D



Fazit:

"Passagier 23" hat es geschafft, meine Erwartungen nicht nur zu erfüllen, sondern diese auch noch zu übertreffen. Für mich war es wirklich ein richtig schöner Thriller, der viele liebevolle Details enthielt und wodurch letztlich vermutlich auch Leute, die sich weniger für das Thema "Kreuzfahrt" interessieren, auf ihre Kosten kommen. 
Ich bin nun schon am Überlegen, ob ich mir auch die schöne gedruckte Ausgabe dieses Buch zulegen soll ...
Ich gebe diesem Roman verdienterweise somit die vollen fünf Sterne.

★ ★ ★ ★ ★



Dienstag, 27. Januar 2015

[Rezension] Khaled Hosseini: "Tausend strahlende Sonnen"

Titel: "Tausend strahlende Sonnen"
Autor: Khaled Hosseini
Verlag: Fischer Taschenbuch Verlag
Erscheinungsjahr: 2007
Preis: 9,99€
Seiten: 400


Inhalt:

Mariam ist fünfzehn Jahre alt, als sie gegen ihren Willen den über dreißig Jahre älteren Schuhmacher Raschid heiraten muss. Da sie als „harami“, also ein uneheliches Kind, nach einem schlimmen Todesfall in ihrer Familie auf sich allein gestellt ist, fügt sie sich ihrem Schicksal und zieht zu Raschid nach Kabul, weit fort von dem ländlichen Leben, das sie bisher kannte. Dort angekommen, zeigt ihr Mann indes seinen wahren Charakter: Fast tagtäglich wird Mariam von ihm verprügelt und erniedrigt. Niemand kommt ihr zu Hilfe, kein Gesetz schützt die junge Frau vor den Tätlichkeiten ihres eigenen Mannes.
Einige Jahre später wendet sich das Blatt, als Raschid das junge Mädchen Laila, die ebenfalls unter tragischen Umständen ihre Familie verloren hat, zu seiner zweiten Ehefrau nimmt. Mariam begegnet ihrer neuen Mitbewohnerin zunächst mit Misstrauen und Feindseligkeit. Allmählich erkennen die beiden Frauen jedoch, dass sie durch ihre Vergangenheit und die Grausamkeiten, die sie mit Raschid erdulden müssen, viel miteinander verbindet. So werden Mariam und Laila unzertrennliche Freundinnen und gemeinsam suchen nach einem Weg, sich gegen ihrem aggressiven Ehemann zu wehren und aus der kriegszerrütteten Stadt Kabul zu fliehen.



Meine Meinung:

Diesen Roman habe ich mir einfach aus dem Grunde gekauft, weil er zu den aktuellen Bestsellern gehört. Ich treibe mich oft auf der Suche nach neuem Lesestoff in den Bestsellerlisten herum und obwohl jene Bücher nicht ohne Grund zu den meistverkauften Büchern gehören, ist es dennoch nicht schwer, ein Buch zu finden, das auch einige negative Kritiken aufweist. Nicht so jedoch bei „Tausend strahlende Sonnen“: Unzählige positive Bewertungen und Empfehlungen und ebenso viele begeisterte Leser versprechen ein wunderbares Lesevergnügen. Das wollte ich mir einmal genauer anschauen und kam so zu diesem Buch.
Ich muss zugeben: Mit Afghanistan hatte ich bisher (leider) relativ wenig am Hut. Es stellte für mich immer ein fernes Land mit einer mir unbekannten und unvertrauten Kultur und Lebensweise dar, geprägt von Klischees und Terrormeldungen über Al Quaida und die Taliban. Dieses verklärte Bild wollte ich etwas auflösen und hoffte deshalb, von Khaled Hosseini ins einem Werk mehr über dieses außergewöhnliche Land zu erfahren.
Zunächst taucht man jedoch in die Mariams Geschichte ein, von deren früher Kindheit und Jugend der erste Teil des Romans berichtet. Sie wird als ein fröhliches und aufgewecktes Kind beschrieben, doch als sich ihr Charakter nach der Heirat mit dem dreißig Jahre älteren Raschid grundlegend ändert, konnte ich das durch die vorausgegangen Ereignisse sehr gut nachvollziehen. Bei Laila, die der Leser im zweiten Teil kennen lernt, ging es mir ähnlich, wobei mir Laila sogar noch ein bisschen mehr ans Herz gewachsen ist. Dies liegt vermutlich daran, dass ich sie seit ihrer Geburt im Buch kennen gelernt und außerdem vieles über ihre Familie und Freunde erfahren habe. Auch ihre Geschichte, die letztlich ebenfalls zur Heirat mit Raschid führt, hat mich sehr bewegt und stellenweise richtig berührt.
Khaled Hosseini verknüpft im Laufe der Erzählung auf sehr geschickte und anschauliche Weise den Alltag der beiden Frauen mit den aktuellen Ereignissen in Afghanistan und der gegenwärtigen politischen Situation. Dafür lässt er den Roman in den 1980er Jahren beginnen und kurz nach dem Attentat auf das World Trade Center beenden. Für mich persönlich war das sehr interessant, weil ich erst vor kurzem den Roman „Extrem laut und unglaublich nah“ (Die Rezension zu diesem Buch findet ihr hier) gelesen hatte und nun die Geschehnisse aus einer anderen Perspektive betrachten konnte.
Es empfiehlt sich jedoch, während des Lesens auch selbstständig ein wenig über das Land und die Kultur Afghanistans zu recherchieren, denn sonst wird man von den vielen Ereignissen in der mehr als zwanzig Jahren andauernden Erzählung schnell überrollt. Ich habe ab dem folgendem Absatz angefangen, mir die Namen der Politiker und wichtige Ereignisse im Buch zu markieren und gegebenenfalls erneut nachschlagen zu können (kein Spoiler, nur Hintergrundgeschichte):
„Raschid brachte immer neue Nachrichten über den Krieg mit nach Hause und verwirrte Laila mit seinen Ausführungen über wechselnde Allianzen. Nach seinen Informationen bekämpfte Sayyaf die Hazaras, die ihrerseits mit Massoud im Streit lagen.
‚Und der legt sich mit Hekmatyar an, der von den Pakistani unterstützt wird. Die beiden, Massoud und Hekmatyar, sind Todfeinde. Sayyaf schlägt sich auf Massouds Seite. Und Hekmatyar hat jetzt die Hazaras als Verbündete.‘“
Nach dieser Aussage war Laila folglich nicht die Einzige, die von der politisch skurrilen Situation geplättet war. Vielleicht wäre es deswegen praktisch gewesen, als Anhang zur eigentlichen Geschichte einen kurzen geschichtlichen Abriss des Landes zu skizzieren, um dem Leser einen tieferen Einblick zu ermöglichen. Im Nachhinein fand ich das aber nicht schlimm, denn ich habe mich einfach selbst über alles informiert, was ich wissen wollte. Dies ist jedoch für den Leser kein Muss, da man der Geschichte dennoch relativ problemlos folgen kann. Man kann also einfach hinnehmen, dass Kabul (und viele andere Städte) zum Ende des 20. Jahrhunderts beinahe täglich von Raketen bombardiert und Menschen auf offener Straße ebenso wie in ihren Häusern getötet werden, aber all die Grausamkeiten und der Terror lassen sich einfach besser verstehen, wenn man auch die Hintergründe kennt. Oder, was eher zutrifft: Es lässt sich schlechter verstehen, warum ein Land über mehrere Jahre hinweg so viel Leid über sich ergehen lassen musste, was dazu führte, dass viele Menschen (nicht zuletzt der Autor selbst) aus dem Land emigrierten.
Zusammenfassend kann ich sagen, dass mich dieses Buch über eine längere Zeit hinweg nicht  losgelassen hat. Obwohl der Schreibstil angenehm war und auch die Umgebung (zum Beispiel Mariams Heimat, das zerstörte Kabul und die leider ebenfalls zerstörten Buddha-Statuen von Bamiyan) sehr anschaulich beschrieben wurde, konnte ich die Geschichte nicht flüssig durchlesen. Mehrfach musste ich innehalten und aufatmen, weil mich das Schicksal von Mariam und Laila unglaublich berührte. Stellenweise kämpfte ich mit den Tränen. Und auch als ich den Roman beendet hatte, konnte ich nicht sofort einen Neuen beginnen, weil ich von der Geschichte noch zu sehr befangen war.



Trivia:

„Tausend strahlende Sonnen“ ist der zweite Roman von Khaled Hosseini und ich habe nach dem Lesen beschlossen, dass es keineswegs mein letztes Buch von diesem Autor sein wird. Seinen folgenden Roman „Traumsammler“ (aus dem Jahr 2013) würde ich gern auf Englisch lesen („And the Mountains Echoed“), weil ich mehr über dieses mir nun nicht mehr ganz so unbekannte Land und dessen Kultur erfahren möchte.
Übrigens: Am Ende des Romans findet sich noch ein Interview mit Hosseini, in welchem er sich näher mit seinen Zielen und Ideen, die dieser Geschichte zugrunde liegen, befasst. Er weist auch darauf hin, dass die Lage in Afghanistan zwar schwierig ist, es jedoch nicht einfach damit getan ist, die Kopftuchpflicht für Frauen aufzuheben. Viele der Probleme und Krisen des Landes haben einen weitaus tieferen, seit vielen Jahrhunderten fest verwurzelten, religiösen Ursprung, der sich durch ein paar gut gemeinte Ideen nicht einfach beheben lässt. Man kann jedoch jene Menschen unterstützen, die aus dem Land flüchten wollen und nun zu Tausenden zusammengepfercht in den Flüchtlingslagern leben. Zu diesem Zweck gründete der Autor die "Khaled Hosseini Foundation" um den Opfern des Terrors zu helfen.



Fazit:

Es stimmt: Dieser Roman hat jede bisher erhaltene positive Bewertung verdient und ich füge hiermit eine weitere hinzu: Ein großartiges, spannendes, trauriges, aber auch ermutigendes Buch, das die Augen öffnet für eine Welt, die uns zwar fremd erscheinen mag, deren Menschen mit ihren individuellen Geschichten jedoch trotz alledem den Leser nicht weniger berühren. Packende und fesselnde Bücher kenne ich viele. Aber einen Roman mit fiktiven Charakteren, der mich ungeachtet dessen zu Tränen gerührt hat? Das gab es schon lange nicht mehr. 
Jeden einzelnen meiner fünf zu vergebenden Sterne hat dieser somit beeindruckende Roman mehr als verdient.

★ ★ ★ ★ ★






Bis bald,
eure Bianca.

Montag, 26. Januar 2015

[Neuzugänge] Februar

Liebe Bücherwürmer,

der Januar neigt sich dem Ende entgegen und nachdem ich einige sehr interessante, lustige und spannende neue Bücher kennen gelernt und mit Begeisterung verschlungen habe, stöberte ich in den letzten Tagen schon nach weiteren Büchern, um den Lesemonat Februar mindestens genauso schön zu füllen wie den Januar.

Wie euch schnell auffallen wird, sind dieses Mal auf meiner Leseliste auch ein paar französische Bücher vertreten. Das hängt damit zusammen, dass ich noch für einige Monate in Frankreich bin und ein bisschen an meinem Sprachniveau arbeiten möchte. Doch keine Sorge: Wie schon im Januar stelle ich euch neben den Büchern aus dem Lesemonat natürlich auch andere Bücher in meinen Rezensionen vor.



Hier gibt es nun einen kleinen Vorgeschmack auf meine Neuankömmlinge sowie eine kurze Beschreibung.

Meine E-Book-Neulinge
  1. Alan Bradley: „Flavia de Luce 3: Halunken, Tod und Teufel“ 
  2. Michel Houellebecq: „Unterwerfung“ 
  3. Joelle Charbonneau: „Die Auslese. Nur die Besten überleben“
Die Geschichte von Flavia de Luce ist eine der Buchreihen, die bei mir schon fast eine Sucht ausgelöst hat. Ich liebe die Kleine einfach mit ihrer frühreifen und altklugen, aber dennoch unglaublich liebenswerten Art und freue mich schon sehr darauf, sie in ihrem Labor auf Buckshaw wiederzusehen.



Von Michel Houellebecq habe ich mich aus verschiedenen Richtungen inspirieren lassen. Einerseits ist er mir schon seit längerem aus einem Literaturseminar bekannt, weswegen ich gerne nicht nur seine Biografie, sondern auch eines seiner Bücher kennen lernen möchte und andererseits scheinen Bücher über Dystopie bei vielen Buchbloggern gerade sehr beliebt zu sein. Deswegen dachte ich mir, lese ich auch mal eine und landete bei dieser aktuellen Dystopie von Houellebecq, die das Bild eines muslimischen Präsidentschaftskandidaten in Frankreich zeichnet.



Auf die Buchserie „Die Auslese“ bin ich durch das Blog von der fleißigen Bloggerin Lena aufmerksam geworden, die dort schon den zweiten Band vorgestellt hat. Grundsätzlich hat mich die Geschichte sehr an „Die Tribute von Panem“ erinnert, die ich aber nie gelesen habe (auch von den Filmen habe ich bisher keinen einzigen gesehen). Aber irgendwie reizt es mich, mir wieder einmal Geschichten aus einem noch wenig erforschten Terrain zu lesen und so landete der erste Band dieser Serie auf meinem Kindle.



Meine neuen Bücher
  1. Helen Fielding: „Bridget Jones - Schokolade zum Frühstück“ 
  2. Yasmina Reza: „Art“ (dt. „Kunst“)
  3. Emmanuel Carrère: „D’autres vies que la mienne“ (leider nicht auf deutsch erschienen ✍)
  4. Ken Follett: „Kinder der Freiheit“  
  5. Joanne K. Rowling: „Harry Potter à l’école des sorciers“ (das ist der erste Band von Harry Potter, also: „Harry Potter und der Stein der Weisen“
  6. Joanne K. Rowling: „Die Märchen von Beedle dem Barden“


Ja, ich geb’s zu: Ich habe nie „Schokolade zum Frühstück“ gelesen. Musste ich auch nicht, schließlich gibt es ja die wunderbar komische Verfilmung mit Renee Zellweger in der Hauptrolle. Vor kurzem bin ich aber irgendwie darauf gekommen, dass ich den Film nie vollständig gesehen habe und spielte mit dem Gedanken, ihn mir bei einem gemütlichen Abend noch einmal anzuschauen. Und dann dachte ich: „Warum hole ich mir nicht einfach das Buch zum Film und mache daraus nicht nur einen, sondern gleich mehrere solcher Abende?“ So kam ich schließlich zu meiner zukünftigen Abendlektüre.




Yasmina Reza’s „Art“ kenne ich ebenfalls aus einem Seminar und habe es deswegen auch schon einmal grob überflogen, wobei mir jedoch einige Feinheiten entgangen sind. Deswegen habe ich es jetzt noch einmal hervorgeholt, um es als einen meiner älteren Neuzugänge diesmal ganz in Ruhe zu lesen und besonders auf die vielen Feinheiten innerhalb der Geschichte zu achten.

Das Buch von Emmanuel Carrère hat mir meine Tutorin empfohlen. Vielleicht sind ja unter euch einige Romanistinnen dabei, die sich ebenfalls für die Werke dieses Autors interessieren; andernfalls ist es einfach ein Buch zu meiner Unterhaltung, dessen Rezension vermutlich nicht in mein Blog mit einfließen wird.




Ich habe vor kurzem von dieser Trilogie den zweiten Teil „Winter der Welt“ beendet (als Hörbuch) und jetzt möchte ich natürlich wissen, wie es weitergeht. Im ersten Band stand der Erste Weltkrieg im Mittelpunkt, im zweiten Band ging es vorrangig um den Zweiten Weltkrieg und der dritte und letzte Band fokussiert nun den Kalten Krieg und die Teilung Deutschlands. Historische Romane sind eigentlich nicht mein bevorzugtes Genre, aber Ken Follett schafft es einfach perfekt, den Leser mit sehr realistischen Charakteren und einer spannenden Einbettung der geschichtlichen Ereignisse zu überzeugen. Mir sind bisher viele Familien sehr ans Herz gewachsen, da ich ihre Geschichte über mehrere Generationen miterleben konnte.




Harry Potter ist für mich ein wesentlicher Bestandteil meiner Kindheit und Jugend; ich bin quasi mit ihm aufgewachsen. Umso schöner finde ich den Gedanken, die Serie einige Jahre später noch einmal zu lesen, weil sie mit so vielen Erinnerungen verbunden ist. Um etwas Abwechslung hineinzubringen (und um meine Sprachkenntnisse zu fördern, hust) werde ich dieses Buch nun ebenfalls auf Französisch lesen.

Und zum Abschluss, passend zum ersten Band von Harry Potter, habe ich mir endlich die Märchen von Beedle dem Barden geholt, die schon seit Ewigkeiten auf meiner Wunschliste stehen. Ich weiß nicht, was mich bewogen hat, mir dieses Buch erst jetzt zu holen, aber ich freue mich dafür umso mehr darüber, es endlich zu meiner Sammlung zählen und lesen zu können.




Bis bald,
eure Bianca

Freitag, 23. Januar 2015

[Rezension] Simon Beckett: "Der Hof"

Titel: "Der Hof"
Autor: Simon Beckett
Verlag: Wunderlich Verlag
Erscheinungsjahr: 2014
Preis: 19,95€ (gebundene Ausgabe)
Seiten: 464



Inhalt:

Seine Flucht vor der Polizei führt den Engländer Sean nach Südfrankreich, auf einen abgelegenen und ebenso verwilderten Hof, wo er die junge Frau Mathilde kennen lernt und um ein Glas Wasser bittet. Wieder zurück auf der Straße fällt ihm zu seinem Entsetzen ein herannehmendes Polizeiauto auf, er riskiert einen gewagten Sprung ins Unterholz des Waldes - und landet prompt mit dem Fuß in einer verrosteten Eisenfalle. Diese hat sich dermaßen tief in das Fleisch seines Beins gebohrt, dass Sean sich nicht aus eigener Kraft befreien kann. In einem qualvollen und fast schon grausam ironischen Martyrium wechselt sein Zustand zwischen panischen Hilferufen und kurzen Ohnmachtsanfällen und endet schließlich in erlösender Dunkelheit.
Doch Sean hat Glück im Unglück: Arnaud, der eigenbrötlerische und kauzige Besitzer des Hofes (und zudem der Aufsteller dieser zahlreichen Fallen), findet ihn bei seinen regelmäßigen Rundgängen auf dem Gelände und gestattet seiner Tochter Mathilde, den Fremden in der alten Scheune gesund zu pflegen. Diese kümmert sich aufopferungsvoll um Sean, der sich trotz der schlimmen Verletzungen in seinem Fuß allmählich erholt. Kaum hat er wieder die ersten selbstständigen Schritte getan, macht Arnaud ihm klar, dass er für seine Versorgung auch eine Gegenleistung erbringen und für den Bauern arbeiten soll. Seine Aufgabe: Das abrissreife Bauernhaus neu zu mauern. Sean willigt ein, sieht er darin doch eine willkommene Gelegenheit, für eine Weile unterzutauchen und Gras über seine Vergangenheit wachsen zu lassen. Den Hof umgibt jedoch ein düsteres Geheimnis, über das sich nicht nur der skrupellose Arnaud, sondern auch die liebevolle Mathilde und ihre jüngere, aber unberechenbare Schwester Gretchen in tiefes Schweigen hüllen.



Meine Meinung:

Zugegeben, es war nicht schwer, bei diesem Plot die Parallele zu Stephen King’s „Misery“ zu erkennen: Ein schwer verletzter Mann wird von einer jungen Frau aufgegriffen und in aller Abgeschiedenheit gesund gepflegt, bis sie schließlich in rasender Wut über ihn herfällt und … - Oh, aber halt, nicht ganz. Denn obwohl ich mir ziemlich sicher bin, dass Simon Beckett die Geschichte von „Misery“ zumindest kennt (wenn sie nicht sogar die Vorlage für seinen Roman geliefert hat), so präsentiert er dennoch mit „Der Hof“ seine eigenen Ideen zu diesem Plot, die aber in eine andere Richtung verlaufen und vor allem die Hintergründe der einzelnen Personen genauer beleuchten. Vielleicht war das der Grund, warum ich mir dieses Buch gekauft habe. Mir gefiel dieses Thema ebenso wie die nette Kleinigkeit, dass die Geschichte in Frankreich spielt und so landete „Der Hof“ in meinem Bücherregal, wo ich ihn innerhalb weniger Tage gelesen habe.
Die Geschichte liest sich wirklich sehr schnell; einerseits anders, als ich es bei der Dicke des Romans vermutet hätte, aber andererseits genau nach dem typischen, flüssigen Beckett-Stil, mit dem ich schon durch „Die Chemie des Todes“ vertraut war. Der Ich-Perspektive bleibt Beckett auch in diesem Roman treu (diesmal jedoch nicht aus der Sicht von David Hunter) und ändert nur die Zeitform in das Präsens. Da ich aber schon viele Bücher in dieser Form gelesen habe, hat mich das nicht sonderlich gestört.
Im Grunde besteht der Roman aus zwei nebeneinander ablaufenden Erzählungen: Da ist zum Einen die Gegenwart auf dem Hof mit seinen schrulligen Bewohnern und zum Anderen die Vergangenheit in London, vor der Sean zu fliehen versucht, die ihn aber immer wieder einholt. Dadurch erfährt der Leser nach und nach auf eine sehr anschauliche Weise, warum Sean denn überhaupt auf der Flucht ist. Ich muss aber zugeben, dass ich diese Rückblenden nach einer Weile nicht mehr so interessant fand, weil ich vielmehr wissen wollte, wie es mit ihm auf dem Hof weitergeht. Leider gab es keinen Zusammenhang zwischen Seans Vergangenheit und dem Geheimnis des seltsamen Hofes, was durchaus einen interessanten Überraschungseffekt ergeben hätte.
Doch bis dahin war es ohnehin ein langer Weg, denn tatsächlich passierte auf dem Hof nicht viel. Man verfolgte zunächst die stetige Genesung von Sean und lernte seinen neuen Tagesablauf kennen. Auch Mathilde und Gretchen tauchten nach einer Weile häufiger auf; Arnaud hingegen glänzte eher durch Abwesenheit und tyrannische Ausbrüche. Aber das war’s eigentlich auch schon.
Ich fühlte mich während des Lesens ständig auf die Folter gespannt, ein bisschen wie in Paranormal Activity, wo man ständig darauf wartet, dass irgendetwas passiert. Ich las und las und las … bis ich irgendwann fast am Ende der Geschichte angekommen und immer noch nichts Spannendes passiert war. Keine Frage, Beckett versteht sich wirklich auf bildliche Beschreibungen der Orte und Personen sowie des Alltagslebens (stellenweise hatte ich auch Hunger, wenn Mathilde Sean das Essen brachte), doch welches Genre hatte das Buch nochmal? Krimi und Thriller? Ähm, nein, eher nicht. Das einzige Thrillerhafte waren die eigentümlichen Schweine, die Arnaud auf seiner Farm hält und dass Mathildes Schwester Gretchen ständig zwischen lasziven Wimpernklimpern und unerwarteten Wutattacken hin- und herpendelte, aber das reicht nicht, um einen Roman zu füllen. Schon gar nicht einen Roman mit mehr als 450 Seiten.
Erst zum Ende hin wurde es schließlich etwas spannender, als Sean in Begriff war, das im Klappentext angepriesene Geheimnis aufzulösen. Nachdem ich jedoch die Personen und deren Handeln auf dem Hof knapp 400 Seiten lang mitverfolgt und meine eigenen Schlüsse daraus gezogen hatte, war die Auflösung dieses Geheimnisses leider keine Überraschung mehr. Obwohl die ganzen Gepflogenheiten des Alltags oft von dem eigentlichen Geheimnis abzulenken versuchten, ließ die Personenkonstellation letztlich keinen anderen Schluss zu, als den, der schließlich auch des Rätsels Lösung war.



Trivia:

„Der Hof“ war mein zweites Buch von Simon Beckett, weil ich beschlossen hatte, ihm nach „Die Chemie des Todes“ noch eine Chance zu geben. Und obwohl mich der Roman einige Tage gefesselt hatte, muss ich im Nachhinein sagen, dass ich bessere Krimis gewohnt bin. Simon Beckett ist zweifellos ein guter Autor, der jedoch dem ständigen Hype, der um ihn gemacht wird, nicht gerecht wird. Auch „Die Chemie des Todes“ war ein netter Unterhaltungsroman, von dem man jedoch einfach nicht die Tiefe und jene dunklen Abgründe erwarten kann, die Stephen King so perfekt beherrscht. Vielleicht hinkt auch einfach mein Vergleich mit dem Meister des Horrors, aber ich bin einfach davon überzeugt, dass King nicht der einzige Autor ist, der dieses Genre so gut beherrscht.

Nichtsdestotrotz möchte ich an dieser Stelle erwähnen, dass Simon Beckett - ungeachtet dessen, dass dieser Roman von ihm nicht zu seinen besten Werken gehört - als Autor sehr nett und freundlich ist. Ich hatte das Glück, ihn vor zwei Jahren auf der Leipziger Buchmesse zu treffen und obwohl er von der Menge der anwesenden Fans offensichtlich etwas gestresst war, blieb er gelassen wie eine griechische Statue. Allein deswegen hat es sich für mich wirklich gelohnt, ihn mal live zu sehen :)





Fazit:

Für mich ist „Der Hof“ leider nicht mehr als ein stellenweise interessanter Unterhaltungsroman, der zwar hin und wieder in die Richtung Thriller verweist, diese jedoch erst zum Ende kurz anschneidet. Und mir genügt es leider nicht, eine ellenlange Vorgeschichte schließlich nur mit einem sehr vorhersehbaren Ende abzuspeisen. Da muss Beckett zukünftig wohl besser abwägen: Entweder er schreibt wieder einen sehr langen Roman, in dessen ersten zwei Dritteln das Umfallen eines Mehlsacks wohl das spannendste Ereignis bleibt und haut mich dafür am Ende mit einem ehrfürchtigem Keuchen aus dem Sessel oder er spickt seine Handlung von Anfang an mit ungewöhnlichen oder sogar gruseligen Details, die mich nachts über deren Ursprünge nachgrübeln lassen. Dann könnte er sich ein Ende à la „Der Hof“ auch erlauben.

Ich gebe diesem Roman deswegen drei von fünf Sternen.

★ ★ ★ ☆ ☆


Bis zum nächsten Mal,
eure Bianca.

Montag, 19. Januar 2015

[Rezension] Jonathan Safran Foer: "Extrem laut und unglaublich nah"

Titel: "Extrem laut und unglaublich nah"
Autor: Jonathan Safran Foer
Verlag: Fischer Verlag
Erscheinungsjahr: 2005
Preis: 9,95€ (Taschenbuch) / 22,99€ (gebundene Ausgabe)
Seiten: 480


Inhalt:

Der neunjährige Oskar Schell besitzt viele wunderbare und einzigartige Talente: Er ist unter anderem Erfinder, Schmuckdesigner, Amateur-Entomologe, Frankophiler, Amateur-Archäologe, Computer-Spezialist und begeisterter Tamburin-Spieler. Mit diesen Eigenschaften - die auf seiner Visitenkarte vollständig aufgeführt sind - und durch seine unverwechselbar neunmalkluge Art zieht er oft die Aufmerksamkeit seiner Mitmenschen auf sich und erobert ihre Herzen.
Doch eines kann Oskar nicht: Mit der Trauer über den plötzlichen und gewaltsamen Tod seines Vaters umgehen, der am 11. September 2001 beim Attentat auf das World Trade Center starb. Wie könnte Oskar auch, versteht er doch ein Jahr später immer noch nicht, warum sich Thomas Schell gerade an diesem Tag dort aufhielt und nun zu den zahlreichen Opfern gehört, die nicht geborgen werden konnten. Oskar musste sich von einem leeren Sarg verabschieden, eine Verkörperung für die große Wunde, die dieser schwere Verlust in seinem Leben hinterlassen hat. Deswegen flüchtet er sich oft in traurige Gedanken über mögliche Erfindungen, die das Leben seines Vaters vielleicht hätten retten können und entfremdet sich immer mehr von seiner Mutter, der es scheinbar ohne große Probleme gelungen ist, wieder ein normales Leben zu führen.
Eines Tages jedoch findet Oskar überraschend etwas im Nachlass seines Vaters, was ihm wieder neue Hoffnung schöpfen lässt und seinem Leben eine Richtung vorgibt: Er hält einen mysteriösen Schlüssel in der Hand, den er nie zuvor gesehen hat und der auch in keines der ihm bekannten Schlösser passt. Deshalb kommt er zu der Schlussfolgerung, dass ihm sein Vater auch nach dem Tod eines seiner geliebten Rätsel hinterlassen hat, mit dem er seinen Sohn früher tagelang beschäftigen konnte. Und so begibt sich Oskar mit den wenigen Hinweisen, die er hat, auf die Suche nach Antworten, kreuz und quer durch New York und lernt dabei eine Vielzahl an skurrilen und nahezu märchenhaften Persönlichkeiten kennen, von denen er hofft, dass sie ihm mehr über seinen Vater und dessen unerwarteten Tod erzählen können.



Meine Meinung:

Ich wusste am Anfang noch nicht, was ich von diesem Roman erwarten konnte. Gekauft hatte ich ihn aufgrund der sehr guten Empfehlung in einer Zeitschrift und der vielen positiven Kritiken. Doch als ich es schließlich vor einer längeren Tagesreise aufschlug, erhoffte ich mir einfach nur eine nette und unterhaltsame Reiselektüre, um mir die Zeit zu verkürzen. Dass ich damit den wahren Wert dieses Buches um eines Vielfaches unterschätzt hatte, wurde mir am Ende der Reise klar. Und knapp 230 Seiten später.
Schon nach wenigen Kapiteln war ich komplett in diese ungewöhnliche, fantasievolle, und zugleich lustige und traurige Geschichte eingetaucht, der ich mich kaum entziehen konnte. Fast jede freie Minute las ich in diesem Buch und je näher das Ende rückte, umso mehr wünschte ich mir, dass ich nicht allzu schnell dort ankam. Ich habe schon sehr lange kein Buch mehr gelesen, dass so viel interessanten Stoff zum Nachdenken gibt und sich gleichzeitig so flüssig lesen lässt.
Trotzdem gebe ich zu, dass ich mit Oskar nicht sofort richtig warmgeworden bin. Er wirkte so unnahbar für einen neunjährigen Jungen, der sich ständig ungewöhnliche Sachen ausdenkt, seiner Mutter in Gedanken schlimme Vorwürfe macht und seltsame Fremdwörter wie „gugolplex“ zusammen mit jugendlich wirkenden Wörtern wie „krass“ in seine Aussagen einstreut. Doch als ich ihn immer besser kennen lernte, konnte ich sein aus der Ich-Perspektive beschriebenes Verhalten allmählich auch nachvollziehen und stellenweise sogar mit ihm leiden, wenn er sich in seinem Schmerz und seiner Trauer allein gelassen fühlte. Dabei geht es in diesem Roman nicht nur um Oskar, sondern auch um seine Familie, deren Geschichte in unterschiedlichen Erzählsprüngen wiedergegeben wird, die sich alle durch einen so individuellen Schreibstil unterscheiden, dass ich das Gefühl hatte, die Familie Schell persönlich kennen zu lernen. Interessanterweise hat Oskar nämlich deutsche Wurzeln, die während des zweiten Weltkrieges leider brüchig wurden und auch bei seinen nahen Verwandten tiefe Narben hinterlassen haben.
Wie bereits erwähnt, beinhaltete diese Geschichte eine Vielzahl an ungewöhnlichen und fast schon märchenhaften Elementen, angefangen bei dem magisch anmutenden Schlüssel im Nachlass des Vaters bis hin zu den Menschen, denen Oskar auf seiner Reise begegnet. Deswegen wunderte es mich nach einer Weile auch nicht, dass die Geschichte stellenweise eine abenteuerliche Richtung einschlug, die von Foer jedoch sehr anschaulich vorgestellt und ausgearbeitet wurde. Dazu trugen auch die vielen Bilder und Fotos bei, die immer wieder überraschend in der Geschichte auftauchten und welche sowohl die Handlung verbildlichen, als auch den Leser vor ein neues Rätsel stellen konnten (Einige Bilder schaute ich mir wirklich auch länger an und dachte immer wieder: „Was meint er nur damit …?“).

Eines der vielen Bilder im Roman
Im Gegensatz dazu stellt das Ende des Romans vermutlich eines der realistischsten Elemente dar. Nicht aufgesetzt. Nicht krampfhaft abschließend. Sondern einfach nur ehrlich.



Trivia:

Dieser Roman wurde 2012 mit vielen bekannten Schauspielern auch verfilmt, darunter Tom Hanks und Sandra Bullock als Oskars Eltern. Da er sich sehr gut an der Buchvorlage orientieren soll, kann ich ihn jedem empfehlen, der die Geschichte zwar interessant findet, jedoch vor den knapp 500 Seiten zurückschreckt. Ich muss auch hinzufügen, dass sich bei dem zweiten Roman von Jonathan Safran Foer wirklich die Geister scheiden. Entweder man liebt dieses Buch und damit die wundervolle und berührende Geschichte, die einzigartigen Charaktere und deren Hintergründe oder man trauert eher der Zeit hinterher, die man für das Lesen investiert hat, weil die Geschichte einfach langweilig, schlecht ausgearbeitet oder zu abgehoben war. Ich gehöre zu Ersteren und das nicht unwesentlich aus persönlichen Gründen. Wenn man jedoch der Geschichte eine Chance geben möchte, sollte man sie als das lesen, was sie ist: Ein modernes Märchen, das sich solche außergewöhnlichen Details auch erlauben kann.



Fazit:

Für mich gehört dieses Buch ganz klar zur Weltliteratur, also auch zu jenen Büchern, die sich einen festen Platz in meinem Regal erobert haben - und zwar einen der Logenplätze. Denn es ist wirklich mit Abstand eines der faszinierendsten Bücher, das ich seit längerer Zeit gelesen habe und ich bin sehr froh, dieses Schmuckstück gefunden zu haben. Dafür gibt es von mir die vollen fünf Sterne.

★ ★ ★ ★ ★

Donnerstag, 15. Januar 2015

[Rezension] Stephen King: "Misery" (dt. Originaltitel: "Sie")

Hallo, liebe Büchernerds!

Heute stelle ich euch einen etwas älteren Titel aus den dunklen Ecken meiner Sammlung vor, der für mich dennoch bis heute seinen Reiz nicht verloren hat. Aber lest selbst …

Titel: "Misery"
Autor: Stephen King
Verlag: Heyne Verlag
Erscheinungsjahr: 1987
Preis: 9,99€
Seiten: 528

Inhalt:

Paul Sheldon, ein klassischer amerikanischer Kitsch-Autor, verunglückt an einem stürmischen und schneereichen Tag mit seinem Auto und wird dabei schwer verletzt. Da er sich auf einer kleinen Landstraße befindet, weit abseits der nächsten größeren Städte, hätte dies vermutlich seinen Tod bedeutet, wenn die tatkräftige Krankenschwester Annie Wilkes nicht zur Stelle gewesen wäre. So findet sich Paul einige Zeit später in ihrem Haus wieder und erfährt, was sich zugetragen hat. Und, was für ein Zufall:

(…) es dauerte noch eine lange Zeit, bis es ihm möglich war, die getrocknete Schicht Speichel aufzubrechen, die seine Lippen zusammenklebte, und zu krächzen: „Wo bin ich?“, in Richtung der Frau, welche mit einem Buch in der Hand neben dem Bett saß. Der Name des Mannes, der das Buch geschrieben hatte, war Paul Sheldon. Er identifizierte ihn ohne Überraschung als seinen eigenen.
„Sidewinter, Colorado“, sagte sie, als es ihm schließlich möglich war, die Frage zu artikulieren. „Mein Name ist Annie Wilkes. Und ich bin …“

„Ich weiß“, sagte er. „Sie sind mein größter Fan.“
„Jawohl“, sagte sie lächelnd. „Ganz genau das bin ich.“
Das Buch, das Annie in der Hand hält, ist der vorletzte Band von Pauls „Misery“-Reihe, die vor allem bei den typischen amerikanischen Hausfrauen sehr beliebt ist. Annie ist geradezu besessen von der tragisch-romantischen Geschichte der Heldin Misery, die jedoch im kommendem Band einen Abschluss finden soll: Paul hat bereits vor einiger Zeit beschlossen, sich von dieser Serie zu verabschieden und ernsterer Literatur zu widmen.
Als Annie erfährt, dass Misery im letzten Band stirbt, ändert sich Pauls Situation dramatisch: Annie zwingt ihn, ein weiteres Buch über Misery zu schreiben, in dem ihre geliebte Heldin wieder auferstehen soll. Paul weigert sich zunächst, muss jedoch schnell erkennen, dass er gegen die verrückte und ebenso grausame Annie keine Chance hat, die auch vor größter Brutalität nicht zurückschreckt.

Meine Meinung:

Eines vorweg: „Misery“ war mein erstes Buch von Stephen King, das ich erstmals durch eine Parodie von Family Guy kennenlernte, in welcher die Handlung in einer schönen Kurzfassung wiedergegeben wurde. Das ist auch nicht schwer, ist der Roman doch im Gegensatz zu einigen Monster-Kloppern des Autors wie „Es“ mit stolzen 1536 Seiten eine fast sympathische Kurzgeschichte, die es dennoch in sich hat. Diese Erfahrung machte ich schon nach wenigen Seiten.
Das Gute und gleichzeitig das Schlechte an diesem Buch: Es lässt einen nicht mehr los. Einmal angefangen, konnte ich es kaum mehr aus der Hand legen, zum Einen aus einer morbiden Neugier, was Annie wohl als Nächstes mit Paul anstellen würde, zum Anderen getrieben von der Hoffnung, dass es ihm irgendwann gelingen würde, sich aus ihren mächtigen Klauen zu befreien. Nicht ohne Grund wird Annie von Paul nicht als eine grausame, perverse, verrückte, gestörte, geisteskranke, schreckliche Krankenschwester bezeichnet, sondern schlicht als „Göttin“, die über ihn Macht hat, ihn zu allem zwingen kann und als Monster im Frauenkörper erstaunlich robust und praktisch unzerstörbar ist.
Da ich inzwischen auch andere Bücher von King gelesen habe, kann ich im Nachhinein sagen, dass er seinem damaligen Stil bis heute weitestgehend treu geblieben ist. Er schreibt flüssig und schafft von Anfang an eine zum Zerreißen gespannte Stimmung, die den Leser nur hin und wieder kurz aufatmen lässt, um dann doch all seine Hoffnungen wieder einzureißen. Außerdem benutzt er unglaublich treffende Vergleiche, zum Beispiel die sehr eindrücklich beschriebenen „Holzpfähle“, die Paul immer wieder anführt, um seine Schmerzen zu beschreiben. Wie es dazu kam, erzählt der Autor in einer interessanten Hintergrundgeschichte, so dass man nach und nach mehr über Paul und Annie erfährt, deren Handeln man sehr gut nachvollziehen kann. Sogar bei Annie macht es Sinn, dass sie so gestört ist und sie erfüllt ihre Rolle als das „weibliche Böse“ über alle Maßen.
Ansonsten ist die Geschichte vollkommen in sich gekehrt, spielt sich allein in Annie einsamen Haus ab, in dem keine anderen Besucher erwünscht sind und Paul ihr somit schutzlos ausgeliefert ist.
Interessant ist auch, dass ich das Gefühl hatte, als ob die Grenzen zwischen dem wahren Autor - Stephen King - stellenweise mit dem fiktiven Autor - Paul Sheldon - verschwimmen, als dieser von seinen persönlichen Erfahrungen berichtet, die sehr realistisch ist die Handlung eingefügt wurden. Da beide zumindest den gleichen Beruf teilen, erfährt man viele interessante Details über das Leben eines Schriftstellers und welche Rolle das Schreiben in dessen Leben spielt.
Auch die Misery-Geschichte spiegelt Pauls Leiden wider und wird auszugsweise in ausgewählten Kapiteln wiedergegeben, einige der wenigen Lichtpunkte für den Leser, in denen man zu kurzen Atempausen kommt. Mich hat dieser zusätzliche Handlungsstrang nicht gestört, da er viel Raum für mögliche Interpretationen liefert.

Trivia:

Ich weiß nicht, was sich der Übersetzer dabei gedacht hat und wie viele Personen er davon überzeugen musste, aber der Titel „Sie“ ist meiner Meinung nach vollkommen unpassend. Versteht mich nicht falsch, ich bin grundsätzlich eher ein Fan von kurzen Titeln - der Roman „Es“ ist ein passendes Beispiel dafür - aber bei diesem Buch bevorzuge ich den Originaltitel, nämlich „Misery“, der die Geschichte viel besser zusammenfasst.
Vielleicht kennen einige von euch auch die Verfilmung des Buches (die seltsamerweise ebenfalls „Misery“ heißt), aber wie so oft ist die Buchvorlage im Längen besser. Selbst Stephen King sagte zum Beispiel, dass er sich für den Darsteller des Paul Sheldon jeden anderen gewünscht hätte, nur eben nicht diesen Schauspieler.

Fazit:

„Misery“ verschaffte mir einen guten Einstieg in die düstere Welt von Stephen King gehört zur Abwechslung zu einer seiner kürzeren Geschichten, die dennoch für einen schönen Lesestoff sorgt. Typisch King geht es nicht allein um das Abschlachten wehrloser Opfer, sondern auch um die menschliche Psyche, also dort, wo sich die wahren Abgründe auftun. Und genau das gefällt mir an Horrorbüchern generell sehr.
Deswegen gebe ich diesem Buch meine volle Punktzahl von fünf Sternen.

★ ★ ★ ★ ★



Bis bald,
eure Bianca.

Montag, 12. Januar 2015

Meine Bewertungen: Übersicht

So bewerte ich in meinen Rezensionen:

★ ★ ★ ★ ★ Ein wunderbares und sehr gutes Buch!
Dieses Buch hat alle meine Erwartungen übertroffen und das Lesen zu einem wunderbaren Erlebnis gemacht!



★ ★ ★ ★ ☆ Ein gutes Buch!
Dieses Buch hat meine Erwartungen erfüllt. Es hat mir, abgesehen von einigen kleinen Schwächen, sehr gut gefallen und sorgte für schöne Lesestunden.



★ ★ ★ ☆ ☆ Ein nettes Buch für Zwischendurch.
Dieses Buch habe ich gern gelesen, es ist an einigen Stellen aber noch ausbaufähig und konnte mich deswegen nicht richtig überzeugen.



★ ★ ☆ ☆ ☆ Ein weniger gutes Buch ...
Dieses Buch wies meiner Meinung nach in vielen Punkten (zum Beispiel Handlung, Charakterzeichnung oder Schreibstil) erhebliche Mängel auf. Ich habe es nicht gern gelesen.



★ ☆ ☆ ☆ ☆ Ein misslungenes Buch ...
Dieses Buch war gar nicht nach meinem Geschmack. Es war nicht nur in einigen Punkten, sondern auch insgesamt nicht stimmig.

Sonntag, 11. Januar 2015

[Rezension] Sebastian Fitzek: "Der Nachtwandler"

Titel: "Der Nachtwandler"
Autor: Sebastian Fitzek
Verlag: Knaur Taschenbuch Verlag
Erscheinungsjahr: 2013
Preis: 9,99€
Seiten: 320
Inhalt:

Leon Nader hat ein Problem: Er leidet seit seiner Jugend an Schlafstörungen. Diese äußern sich jedoch nicht nur durch harmlose Bettmonologe und Schlafstarren, sondern auch durch das ziellose Herumwandern in der Wohnung. Einige Jahre mit unterschiedlichen Adoptiveltern und mehrere Therapiesitzungen später glaubt er, geheilt zu sein und führt eine glückliche Ehe mit seiner Frau Natalie. Doch dann erfährt Leons Leben einen dramatischen Wendepunkt, als Natalie ihn im verletzten Zustand und mitten in der Nacht verlässt und wie vom Erdboden verschluckt bleibt. Leon befürchtet das Schlimmste - dass seine Krankheit wieder ausgebrochen ist und er zudem für seine Mitmenschen eine Bedrohung darstellt. Deswegen beschließt er, sein nächtliches Handeln zu dokumentieren und befestigt vor dem Schlafengehen eine bewegungsaktive Kamera an seiner Stirn. Doch als er sich die Aufnahmen am nächsten Morgen ansieht, offenbaren sich ihm Abgründe, die seine schlimmsten Alpträume plötzlich Wirklichkeit werden lassen.

Meine Meinung:

So, das war er also, mein erster Fitzek-Roman. Ich hatte mal wieder Lust auf einen schönen Thriller, der auch ein wenig Gänsehaut verspricht, deshalb fiel meine Wahl auf den „Nachtwandler“. Ich habe das Buch natürlich nur abends vor dem Einschlafen gelesen, um die perfekte Stimmung aufkommen zu lassen und nachdem ich mir die dritte Nacht bis ein Uhr um die Ohren geschlagen hatte, war ich mit der Geschichte durch. Und dann saß ich erstmal im Bett und dachte: „Bitte was?“
Aber der Reihe nach: Der Roman hatte schon in der kurzen Leseprobe sehr gut begonnen und als ich endlich in den Genuss des ganzen Buches kam, wurden die Kapitel immer besser. Die Handlung ging schnell voran - Schwuppdiwupp war Natalie verschwunden und kurz darauf installiert Leon schon die Software für seine neue Kopfkamera. Fitzek ist es sehr gut gelungen, eine unheimliche und bedrückende Atmosphäre herbeizuführen, unter anderem dadurch, dass sich die Handlung fast ausschließlich in Leons Wohnung abspielt und er zudem ständig vor ein neues Problem gestellt wird, die ihn zusehends an seinem Verstand zweifeln lassen. Und ich gebe zu: Nach der ersten Lektüre war auch ich ein bisschen eingeschüchtert und sinnierte im Bett darüber nach, wie es wäre, wenn die Träume das wirkliche Leben und das Leben nur ein Traum wäre … Matrix lässt grüßen! ;-)
Hinzu kommt, dass ich als Leser zusammen mit Leon die Furcht vor dem unbekannten Bösen teilte. Es war schnell klar, dass Leon auf den Aufnahmen seiner Kamera vermutlich nicht sich selbst sehen wird, wie er mit seinen Nachbarn Samba tanzt, sondern dass etwas wahrhaft Unheimliches in der Dunkelheit auf ihn wartet. Fitzek lässt diese Spannung eine Weile bestehen, bis er dem Leser gewährt, Leon in die von ihm so gefürchteten Abgründe zu folgen, wo er verzweifelt nach seiner Frau sucht. Nach und nach wird ihm die eigene Wohnung fremd und irgendwann war auch ich als Leser nicht mehr sicher, ob Leon nun gerade träumt oder wach ist.
Fitzek schreibt sehr fesselnd und hält sich nicht lange mit blumigen Beschreibungen auf. Was den Lesefluss jedoch ein bisschen gestört hat, waren die zunehmend häufigen Ankündigungen des Autors, dass gleich etwas ganz Schlimmes passiert. Das versetzte mich die ersten Male beim Lesen noch in eine gehetzte Stimmung, dass ich unbedingt wissen wollte, was als Nächstes passiert, doch nach einer Weile dachte ich mir nur noch: „Ach, was du nicht sagst …“
Zum Ende hin liefen jedoch alle Fäden wieder zusammen und ergaben ein schlüssiges Ganzes, das zwar etwas abgehoben war, jedoch alle offenen Fragen gut aufklärte.

Trivia:

Ich lese meine Bücher immer komplett und das beinhaltet logischerweise auch das Nachwort des Autors. Ich habe immer das Gefühl, dass ich das dem Autor schuldig wäre, wenn ich sein Buch gelesen habe. Außerdem lesen sich diese Danksagungen in der Regel ziemlich flott, wenn man geflissentlich die Namen der Beteiligten grob überfliegt. Doch bei Fitzek war das komplett anders. Ich habe noch nie so ein kreatives, lustiges und so eng mit dem eigentlichen Buch verknüpftes Nachwort gelesen. Deswegen rate ich jedem, der das Buch liest, das Nachwort nicht auszusparen. Es ist unglaublich gelungen und stellt Fitzek als sehr sympathischen Menschen mit kleinen Schwächen dar, der trotz seines bisherigen Erfolges kein bisschen abgehoben ist. Chapeau! 

Fazit:

„Der Nachtwandler“ hat mir drei sehr spannende und sogar ein bisschen gruselige Abende beschert und genau das war es, was ich von diesem Roman erwartet habe. Allerdings hätte ich mir gewünscht, dass die Auflösung ein bisschen ausgefeilter gewesen wäre und sich der Nervenkitzel bis zur Auflösung noch etwas hingezogen hätte. Allein das Thema des Schlafwandeln (oder korrekterweise eben des „Nachtwandelns“) bietet so viele Möglichkeiten, die noch viel mehr ausgeschöpft werden können. Dafür darf das Buch gerne ein paar mehr Seiten haben.
Mein persönliches Resümee: „Der Nachtwandler“ war auf jeden Fall nicht mein letzter Roman von Fitzek. Für diesen gelungen Einstieg gebe ich ihm vier von fünf Sternen.

★ ★ ★ ★ ☆



Bis bald,
eure Bianca.

Freitag, 9. Januar 2015

[Rezension] Robin Sloan: "Die sonderbare Buchhandlung des Mr. Penumbra"

Titel: "Die sonderbare Buchhandlung des Mr. Penumbra"
Autor: Robin Sloan
Verlag: Karl Blessing Verlag
Erscheinungsjahr: 2014
Preis: 9,99€ (TB), 19,99€ (gebunden)
Seiten: 352

Inhalt:

Der junge Clay Jannon hat mit Papier und Büchern (ja, richtigen Büchern aus dem Buchladen, nicht den elektronischen Kindle-Versionen) eigentlich nicht viel am Hut. Das ändert sich jedoch, als er seinen Job als Werbedesigner verliert und gezwungen ist, sich eine neue Stelle zu suchen. Dabei wird er überraschenderweise ausgerechnet vor einer sehr alten und durchgehend geöffneten Buchhandlung mit folgender Stellenanzeige fündig:

AUSHILFE GESUCHT
Spätschicht
Spezielle Anforderungen
Gute Zusatzleistungen

Anfangs noch skeptisch, beschließt Clay (vermutlich aufgrund seiner prekären finanziellen Lage), sein Glück bei dem schrulligen Mr Penumbra zu versuchen, dem diese Buchhandlung gehört. Doch schon nach kurzer Zeit fallen ihm einige seltsame Dinge auf: Die regelmäßigen Stammkunden kaufen nichts, sondern leihen die Bücher nur aus und Clays Hauptaufgabe besteht mysteriöserweise darin, die Kleidung und den Zustand dieser Kunden in einem Logbuch genau zu dokumentieren. Da man so keine Nachtschicht totschlagen kann, beginnt Clay im verbotenen, hinteren Bereich der Buchhandlung, wo sich riesige Regale mit seltsamen, kryptischen Büchern türmen, nach Antworten zu suchen. Dadurch findet er schließlich heraus, dass Penumbra und seine Kunden einem uralten Geheimnis auf der Spur sind, das zurückreicht bis zur Erfindung des Buchdrucks. Clays Interesse ist nun geweckt und gemeinsam mit seinem neuen Arbeitgeber, seiner Freundin Kat und seinem besten Freund Neel versuchen sie gemeinsam, dieses außergewöhnliche Geheimnis zu lüften.

Meine Meinung:

Ich habe dieses Buch eher zufällig entdeckt und wollte es eigentlich zuerst nicht kaufen und wollte es unbedingt kaufen. Letzten Endes kaufte ich es nicht und kaufte es dann doch: Als Kindle-Version. Und obwohl ich ungefähr in der Buchmitte mit dem Lesen eine kleine Flaute hatte, habe ich den Kauf dennoch nicht bereut.
Ich liebe Bücher über Bücher. Ich finde es unglaublich schön, wenn man das Medium der Geschichte zur Hauptperson der Geschichte macht (nicht ohne Grund regiert Walter Moers' „Die Stadt der träumenden Bücher“ seit Jahren unantastbar auf dem vordersten Platz meiner Lieblingsbücher). So ist es auch in diesem Buch von Robin Sloan, doch daneben vollzieht sich die Handlung mit einer willkommenen Überraschung: Es geht nicht nur um die klassischen Bücher, die schon im Klappentext so ausführlich angeführt werden, sondern um Bücher allgemein, ganz egal, in welcher Form. Dieser Gegensatz wird allein dadurch perfekt, dass Clay in einer der ältesten Buchhhandlungen arbeitet und seine Lieblingsbücher selbst auf einem Kindle liest (mit Vorliebe auch die kostenlosen ersten Kapitel von Amazon). Hinzu kommt, dass Clays Freundin Kat bei Google arbeitet und somit den technischen Aspekt mit ins Spiel bringt und damit natürlich die unglaublichen Vorteile ihrer futuristischen Firma anpreist.
Das Thema klang somit eigentlich sehr vielversprechend, aber - wie schon erwähnt - hatte ich nach ungefähr der Hälfte des Buches ein bisschen Schwierigkeiten, weil die Handlung nicht mehr richtig in die Gänge kam. Mir fehlte die Spannung und der Grund, warum Clay und vor allem Kat diese vielen Hürden auf sich nahmen. Doch weil ich nun doch wissen wollte, wie die Geschichte ausging, las ich schließlich weiter und dann kam die Handlung auch wieder in Schwung. Man sollte natürlich keine nervenaufreibenden Verfolgungsjagden oder Ähnliches erwarten, denn im Grunde steckt dieses Buch voller versteckter, philosophischer Hinweise und ganz nebenbei lernen unerfahrene Menschen wie ich erstaunlich viel über die Funktionsweise des Google-Imperiums (der Autor schreibt da quasi aus erster Hand, hat er doch unter anderem für Online-Plattformen wie Twitter und Co. gearbeitet).

Trivia:

Dieses Buch ähnelt einem gewagten Experiment, welches Medium denn tatsächlich die Nase vorn hat: Die gedruckten oder virtuellen Medien. Robin Sloan wagt sich langsam an diese schwierige Thematik heran und stellt zum Ende des Romans heraus, welches Medium in diesem ungleichen Rennen für ihn der Sieger ist. Doch spielt das eigentlich überhaupt eine Rolle? Diese Frage kann sich der Leser nach der Lektüre vermutlich auch selbst beantworten.

Fazit:

Ein interessantes, ungewöhnliches und überraschend lustiges Buch, das sich nicht so richtig in ein bestimmtes Genre einordnen lassen will, aber stellenweise seine Längen hat. Deswegen bekommt es von mir vier von fünf Sternen.

★ ★ ★ ★ ☆

Sonntag, 4. Januar 2015

[Rezension] Doppelt hält besser: Flavia de Luce 1 & 2: Mord im Gurkenbeet & Mord ist kein Kinderspiel






England, Mitte des 20. Jahrhunderts: Die elfjährige Flavia de Luce, deren Mutter kurz nach ihrer Geburt unter mysteriösen Umständen verstorben ist, lebt zusammen mit ihrem verschrobenen, briefmarkenversessenen Vater sowie ihren gehassliebten Schwestern Ophelia und Daphne, liebevoll Feely und Daffy oder auch die Giftspritzen genannt, zurückgezogen auf dem alten Landsitz Buckshaw. Anders als ihre älteren Schwestern, die sich bevorzugt für ihren Schminkspiegel (Feely) oder die Gesamtausgabe englischer Literatur (Daffy) interessieren, frönt Flavia ein äußerst ungewöhnliches Hobby: Die Chemie, Spezialgebiet: Die Herstellung von Giften. So verbringt die naseweise Flavia ihre Tage auf Buckshaw, mischt sich allerlei teuflische Substanzen zusammen, mit der sie ihre Schwestern beglücken könnte, wenn da nicht hin und wieder ein Mord passieren würde, der darauf wartet, von ihr gelöst zu werden. Allein durch ihre gewitzte und forsche Art, ihre schnelle Auffassungsgabe und natürlich unter dem Einsatz einiger besonderer chemischer Substanzen, tanzt das Mädchen den ermittelnden Inspektoren fröhlich auf der Nase herum und erweist sich als überaus scharfsinnige und unglaublich gerissene Privatermittlerin, die mit einer gehörigen Prise Sarkasmus dem Mörder auf die Spur kommt.
Titel: Flavia de Luce 1 - Mord im Gurkenbeet
Autor: Alan Bradley
Verlag: Blanvalet
Erscheinungsjahr: 2010
Preis: 8,99€
Seiten: 400
In ihrem ersten Fall geht es um einen unbekannten Mann, den Flavia höchstpersönlich am frühen Morgen im Gurkenbeet auffindet: Tod durch Vergiften, also ein Mord ganz nach Flavias Geschmack. Da ihr Vater des Mordes an diesem Mann verdächtigt wird, seine Tochter jedoch von dessen Unschuld überzeugt ist, setzt sie alles daran, den wahren Mörder zu fassen und ermittelt fortan, zum Ärger der ermittelnden Inspektoren, auf eigene Faust.

Titel: Flavia de Luce 2 - Mord ist kein Kinderspiel
Autor: Alan Bradley
Verlag: Blanvalet
Erscheinungsjahr: 2011
Preis: 8,99€
Seiten: 368
Einige Zeit später: Flavia hat sich durch ihre Fähigkeiten einen Ruf in England geschaffen (angeblich weiß jeder innerhalb von 50 Meilen von ihren Fähigkeiten), als schon der zweite Fall ruft: Diesmal ist es ein bekannter und vor allem bei Kindern sehr beliebter Puppenspieler, der bei während seiner Puppenspiel-Aufführung von „Jack und die Bohnenranke“ kaltblütig ermordet wird und wieder liegt es an Flavia, den Inspektoren die entscheidenden Hinweise zu geben und ganz nebenbei noch einen anderen, tragischen Todesfall aufzulösen.




Flavia ist wahrlich ein wunderliches Geschöpf. Und dennoch (oder vielleicht gerade deswegen) habe ich sie gern in ihre skurrile, von der Chemie dominierte Welt begleitet, folgte ihr mit ihrer treuen Wegbegleiterin Gladys (dem Fahrrad ihrer Mutter) in das verschlafene, vor Buckshaw gelegene Dörfchen Bishop’s Lacey und überlegte mit ihr gemeinsam, wer wohl der Mörder gewesen sein könnte.
Alan Bradley versetzt den Leser sehr gekonnt in die Rolle des Dr. Watson, der die Welt zwar mit den gleichen Augen sieht wie Sherlock Holm…, äh ich meine Flavia de Luce, doch deren Interpretation der Dinge einfach um Längen besser ist. Wen wundert’s, schrieb der Autor 2004 auch zusammen mit William A. S. Sarjeant „Ms. Holmes of Baker Street“ (Quelle: Wikipedia).
Grundlegend: Die Romane von Flavia de Luce sind in erster Linie klassische als auch moderne Kriminalromane zugleich, denn die Fakten liegen eigentlich die ganze Zeit auf dem Tisch. Man muss sie nur sehen. Flavia tut es und wenn man sich die Details und Beschreibungen genau durchliest, kommt man auch als Dr. Watson manchmal zu einem Geistesblitz, während Flavia das ganze Puzzle schon längst aufgelöst und den ahnungslosen Inspektoren (oder sogar dem Mörder selbst) erklärt hat, wie der Mord geplant und durchgeführt wurde und welches Motiv der Mörder verfolgte.
Trotz ihrer neunmalklugen Art war mir Flavia von Anfang an sympathisch, weil sie einfach undurchschaubar ist und manchmal dennoch die typischen Verhaltensweisen eines Mädchens an den Tag legt, das die Geheimnisse der Welt ergründen und ihren Mitmenschen aus aufrichtigen Gefühlen helfen will. Sie ermittelt nicht aus Eigennutz (außer vielleicht, weil sie sich dadurch ein paar unheimliche Substanzen zusammenmischen kann), sondern um ihren Mitmenschen zu helfen und das macht sie zu einer liebevollen Heldin, die trotzdem bevorzugt in ihrer eigenen Welt lebt - einer Welt, in der nicht einmal ihr Vater und schon gar nicht ihre Schwester ihr folgen können, denn ihr eigenes Labor ist der einzige Ort, an dem sie ganz sie selbst sein kann.




Die Serie von Flavia de Luce strotzt nicht nur vor schwarzem Humor und einer Menge Sarkasmus, sondern auch vor Anspielungen auf bekannte Maler (nebst Beschreibungen berühmter Bilder), Musiker (die in manchen ihrer Stücke einfach keinen Abschluss finden), Forscher (die ihren Nachkommen zum Beispiel ein fantastisches Chemielabor vermachen) und Autoren (wer sich dafür interessiert, sollte sich Daffys ständig wechselnde Lektüre, hinter der sie vermutlich den Großteil ihres Lebens verbringt, mal zu Gemüte führen). Nachdem ich mich im ersten Band erstmal nur berieseln ließ, habe ich allmählich angefangen, einige der Anspielungen auch zu googeln und nachzuschlagen und ich kann euch versprechen: Es lohnt sich allemal. Ich habe so zum Beispiel viel von Mutter Gans (auch Mother Goose oder Ma Mère l’Oye) erfahren, die im zweiten Band der Serie erwähnt wird. So wurde mein Interesse für englische Märchen geweckt und man taucht dadurch noch besser in Flavias verwunschene Welt eines längst vergangenen, im Roman jedoch überraschend lebendigen Jahrhunderts ein. Nun kenne ich auch einen der bekanntesten Kinderreime, den Mutter Gans erzählt hat (die Lösung ist nicht schwer ^^):

As I was going to St Ives
I met a man with seven wives
Each wife had seven sacks
Each sack had seven cats
Each cat had seven kits
Kits, cats, sacks, wives
How many were going to St Ives?

Wo wir gerade beim Englischen sind ... Leider war es den deutschen Übersetzern aus irgendeinem, mir bisher unerfindlichen Grund wohl nicht möglich, sich bei der Übersetzung der Titel am englischen Original zu orientieren. Deswegen hat der Mord im Gurkenbeet herzlich wenig mit einem süßen Kuchen zu tun ("The Sweetness at the Bottom of the Pie") und woher das sprichwörtliche Kinderspiel im zweiten Band kommt, kann ich mir bei dem Originaltitel "The Weed That Springs The Hangman's Bag" beim besten Willen nicht erklären.




Flavia de Luce war für mich trotz alledem (dafür kann die Kleine selbst ja nichts, da dies dem befremdlichen Eigenwillen deutscher Übersetzungen geschuldet ist) auf jeden Fall ein tolles Erlebnis und auch die folgenden Bände, mit denen ich meinen Kindle schon bereichert habe, werde ich auf jeden Fall in absehbarer Zeit lesen, um mehr von Flavia zu erfahren und sie erneut in guter alter Watson-Manier zu begleiten. Beim zweiten Band  habe ich sogar einige der gegebenen Hinweise ebenfalls richtig interpretiert und freue mich schon darauf, das nächste Mal wieder mitfiebern zu können. Man sollte sich jedoch, wie schon erwähnt, auch etwas für die Hintergründe des letzten Jahrhunderts interessieren und bereit sein, das ein oder andere Detail nachzuschlagen, um dem Lesevergnügen das letzte „i-Tüpfelchen“ zu geben.

Von mir gibts für die forsche Flavia deshalb fünf von fünf Sternen.


★ ★ ★ ★ 



Bis zum nächsten Mal,
eure Bee.